Neum 1998

9. - 13. 03. 1998.

NEUE GEISTLICHE GEMEINSCHAFTEN UND BEWEGUNGEN-EINE ANFRAGE AN BERUFU NG UND SENDUNG DER KIRCHE HEUTE - Marianne Tigges

IST MEDJUGORJE EINE GEISTLICHE BEWEGUNG IN DER KIRCHE? - Dirk Grothues

MEDJUGORJE UND DIE NEU-EVANGELISIERUNG - Dr. p. Ivan Dugandzic


Marianne Tigges, geboren 15.02.1942 in Hagen/Westfalen. 1975 Promotion in der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelm-Universität in Münster (Pädagogik/Theologie/Philosophie). Bis 1979 Einsatz in Ostafrika. Von 1980 bis tätig als Referentin beim päpstlichen Missionswerk MISSIO in Aachen, sowie von 1983 bis 1987 als Referentin in der Zentralstelle Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz für den Bereich "Geistliches Leben, Geistliche Berufe, kirchliche Dienste". Von 1987 Kontaktperson seitens der Deutschen Bischofskonferenz für geistliche Berufe und kirchliche Dienste. 1991 ist sie zur Sekräterin der Bischöflichen Kommission für geistliche Berufe und kirchliche Dienste berufen worden.

Dirk Grothues, geboren 1928, Priesterweihe 1955 in Münster, Deutschland. Kaplan in einer Arbeitergemeinde, Religionslehrer an Gymnasien, Seelsorger in einer Klinik für psychosomatische Medizin, beratende Dienste in Ehe- und Familienfragen, Spiritual bei geistlichen Gemeinschaften, von 1968 bis 1995 theologischer Mitarbeiter der Bistumszeitung "Kirche und Leben", Rektor im Provinzhaus der Vorsehungsschwestern in Münster. Erster Besuch in Medjugorje 1983. Seit 1987 geistlicher Beirat im "Zentrum Maria, Königin des Friedens, Medjugorje", Mitarbeit bei Theologischen Tagungen und Publikationen zu den Erscheinungen und Botschaften von Medjugorje.

Dr. p. Ivan Dugandzic, Franziskanerpater, Mitglied der Herzegowinischen Franziskanerprovinz; geboren 1943 in Krehin Gradac, Gemeinde Citluk, Herzegowina. Nach dem Abitur in Dubrovnik 1962 Eintritt in den Franziskanerorden. Theologiestudium in Sarajewo und Königstein (Deutschland). Priesterweihe 1969. Postdiplomstudium und darauffolgend Erwerbung der Doktorwürde in Biblischen Wissenschaften in Würzburg (Deutschland). Seit 1990 lebt und arbeitet er in Zagreb. An der katholischen Theologischen Fakultät und ihren Institutionen hält er Vorlesungen in den Gebieten: Exegese des Neuen Testamentes und Biblische Theologie. Seine Arbeiten veröffentlicht er in fachtheologischen Zeitschriften. In katholischen Blättern behandelt er auf zeitgenössische Weise verschiedene biblische Themen. In Medjugorje lebte und arbeitete er von 1970 - 1972, sowie von 1985 - 1988.

Das Gebets-bildende Seminar für die Leiter von Gebets- und Pilgergruppen, wie auch der Friedenszentren überall in der Welt fand vom 9. bis 13. März 1998 in Neum statt. Am Seminar mit dem Thema "Die geistliche Bewegung von Medjugorje" nahmen etwa 150 Teilnehmer aus 17 Ländern teil. Das Ziel dieses Seminares, das bereits das fünfte Jahr nacheinander stattfand, ist ein besseres Kennenlernen und ein Erfahrungsaustausch derjenigen, die mit den Pilgern in Medjugorje und in ihren eigenen Gemeinden arbeiten.

Am Ende des Seminars wurde eine gemeinsame Erklärung verfasst.

E R K L Ä R U N G

150 Leiter von Gebetsgruppen aus 17 Ländern hörten Vorträge über geistliche Bewegungen allgemein (Marianne Tigges aus Bonn), über die geistliche Bewegung von Medjugorje in der Kirche von heute (Dirk Grothues aus Münster) und über den Beitrag von Medjugorje zur Neuevangelisierung (Ivan Dugandzic aus Zagreb).

In den verschiedenen Sprachgruppen und in den Gesprächen mit den Referenten kamen wir zu folgenden Schlußfolgerungen:

  1. 1. Wir danken Gott, daß er in unserer Zeit seiner Kirche neue Impulse des Geistes gibt, die manchmal in echte geistliche Bewegungen aufwachsen. Wir sind glücklich darüber, daß auch Medjugorje als eine geistliche Bewegung in der heutigen Welt bezeichnet werden kann.
  2. 2. Wir fühlen uns verpflichtet, den ursprünglichen Geist spiritueller Bewegung von Medjugorje zu bewahren und so das Zeugnis des authentischen christlichen Lebens zu geben, das sich auf die Botschaften der Gospa stützt, die den Kern des Evangeliums ausdrücken, damit wir unseren Beitrag für die Erneuerung der Kirche leisten können.
  3. 3. Um der geistlichen Bewegung, die sich auf die Botschaften der Muttergottes stützt, eine noch größere Bedeutung zu verleihen, wird die Notwendigkeit der Bereitung des Weges zum Frieden in der Welt und in der Ortskirche betont, zu der die Pfarrei Medjugorje gehört.

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Dr Marianne Tigges

NEUE GEISTLICHE GEMEINSCHAFTEN UND BEWEGUNGEN-EINE ANFRAGE AN BERUFU NG UND SENDUNG DER KIRCHE HEUTE

Gliederung

  1. Einleitung: Neue Formen evangelischen Lebens als Gabe des Hl. Geistes und "Zeichen der Zeit"
  2. Versuch einer Standortbestimmung
  3. Geistliche Aufbrüche als Ausdruck der "Ecclesia semper reformanda"
  4. Gemeinsame Leitelelemente neuer geistlicher Bewegungen
    1. Spiritualität und Glaubenserfahrung
    2. Evangelisation und Katechese
    3. Gemeinschaft und Brüderlichkeit
    4. Aufgaben in der Welt und Sendung
    5. Neues Verhältnis von Amtsträgern und Laien
    6. Neue Form von Kirchlichkeit
  5. Mögliche Gefährdungen und Schwierigkeiten in neuen geistlichen Bewegungen
  6. Förderung und Koordination des Laienapostolats durch den Päpstlichen Rat fürdie Laien
  7. Schlußbemerkung: Geistliche Erneuerung als bleibender Auftrag aller Christgläubigen

1. Einleitung: Neue Formen evangelischen Lebens als Gabe des Hl. Geistes und "Zeichen der Zeit"

Wenn man nach besonders auffälligen Hoffnungszeichen in unserer gegenwärtigen Kirche fragt, werden sehr oft die neuen geistlichen Gemeinschaften oder Bewegungen genannt. Sicherlich zu Recht, denn im ganzen stellen sie eine authentische christliche Antwort auf die Herausforderung der kulturellen Situation des Glaubens dar (vgl. Medard Kehl SJ, "Communio" - eine verblassende Vision? in: Stimmen der Zeit, Heft 7/1997, 453).

Die Konzilsdokumente haben die Gemeinsamkeit des ganzen Volkes Gottes in der Sendung und Berufung der Kirche inmitten der Welt immer wieder in den Vordergrund gerückt. Auch die Bischofssynoden der letzten Dekade haben die Gemeinschaft in der Kirche als Geschenk des Geistes in der Vielfalt der Charismen und der Lebensformen gewürdigt: die Berufung und Sendung der Laien (1987), die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart (1990) und das gottgeweihte Leben (1994).

Die nachfolgende Darstellung will eine Standortbestimmung der neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen versuchen; dabei werden insbesondere wichtige Merkmale und gemeinsame Leitelemente umschrieben, aber auch mögliche Gefährdungen und Schwierigkeiten benannt. Die Überlegungen wollen auch eine zentrale kirchenrechtliche Aussage veranschaulichen, die sozusagen als Präambel aller Formen des Laienapostolats bezeichnet werden kann. Im neuen Codex des kanonischen Rechts vom Jahr 1983 heißt es in Canon 215: "Den Gläubigen ist es unbenommen, Vereinigungen für Zwecke der Caritas oder der Frömmigkeit oder zur Förderung christlicher Berufung in der Welt frei zu gründen und zu leiten und Versammlungen abzuhalten, um diese Zwecke gemeinsam zu verfolgen." Dieses Vereinigungs- und Koalitionsrecht hat bereits das Zweite Vatikanum im Dekret über das Laienapostolat "Apostolicam actuositatem" festgelegt (vgl. AA 19). Es stellt die rechtliche Grundlage für alle Personenzusammenschlüsse in der Kirche dar, angefangen von der vorübergehenden Versammlung bis hin zu den höchsten Formen gemeinschaftlichen Lebens, wie den Orden und Säkularinstituten.

2. Versuch einer Standortbestimmung

In den vergangenen Jahren ist das Interesse an sog. "Erneuerungsbewegungen" oder "Geistlichen Aufbrüchen" innerhalb der christlichen Kirchen sichtbar gewachsen. Die neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen finden auch offiziell stärkere Beachtung, weil sie zahlenmäßig gewachsen sind und allmählich "ins Gewicht fallen" (vgl. hierzu P. J. Cordes, Mitten in unserer Welt, Freiburg 1987, 13 ff).

Auf weltkirchlicher Ebene haben die neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen Bestätigung und Ermutigung erfahren durch die Bischofssynode 1987, die über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt beraten hat. Das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Christifideles Laici" von Papst Johannes Paul II., das am 30. Dezember 1988 veröffentlicht wurde, ist gegenwärtig zweifellos der hauptsächlichste Bezugspunkt für alle Fragen, die die Berufung und Würde des Laien, seine Gemeinschaft und Teilhabe an der Sendung der Kirche betreffen. (Vgl. hierzu "Laien heute", Informationsdienst des Päpstlichen Rates für die Laien, 18 (1996), Seite 2).

Die neuen geistlichen Bewegungen sind Gruppierungen, in denen sich mehrheitlich Laien, aber auch Kleriker und Ordensleute um ein intensives religiöses Leben in Gemeinschaft bzw. um eine Glaubenserneuerung in der Kirche bemühen. Sie sind zumeist überortlich organisiert und weisen eine regional unterschiedliche Verbreitung auf.

Die Bezeichnung Bewegungen weist darauf hin, daß sich diese Gruppen schon in ihren Strukturen von herkömmlichen kirchlichen Gemeinschaftsformen nicht unbeträchtlich unterscheiden. Die Abgrenzung zu anderen Gruppen ist nicht immer leicht. Sie unterscheiden sich von den klassischen Orden und den neuzeitlichen Ordensbildungen, weil sie nicht auf einer so radikalen Lebensentscheidung gründen, die - wie in den Ordensgemeinschaften - mit lebenslangen Gelübden verbunden ist, und weil sie auch von daher weniger institutionelle und verfaßte Elemente haben. Sie rücken in eine gewiße Nähe zu den Säkularinstituten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der katholischen Kirche offiziell errichtet worden sind, haben aber keine so festumrissene Lebensform wie diese. Das Wort "Bewegungen" ist deshalb günstig, weil es die flexible Gemeinschaftsform gut andeutet: sie sind stärker strukturiert und mehr verpflichtend als Spontangruppen, aber nicht so bindend wie Assoziationen, Verbände oder Vereine. Es versteht sich von selbst, daß das Erscheinungsbild dieser Bewegungen außerordentlich verschieden und vielfältig ist, so daß der gemeinsame Nenner in inhaltlicher Hinsicht nicht leicht zu finden ist.

Der Blick auf den Ursprung neuer geistlicher Bewegungen macht deutlich, daß diese geistlichen Aufbrüche überwiegend im europäischen Raum entstanden sind: Communione e Liberatione 1954 in Mailand; der erste Cursillo fand 1949 auf der Insel Mallorca, Spanien, statt; die Ehegruppen Equipes Notre Dame sind 1938 in Paris entstanden; die Fokolar-Bewegung hat ihren Ursprung 1943 in Trient; die Internationale Bewegung christlicher Frauen - Gral hat ihren Ursprung in einer Laiengemeinschaft von Frauen, die 1921 in Holland gegründet wurde; Eheseminare vom Marriage Encounter wurden 1953 in Barcelona entwickelt; der neukatechumenale Weg hat seine Anfänge um 1965 in Madrid genommen; die Schönstatt-Bewegung geht zurück auf eine Weihe an die Gottesmutter, die 1914 in Vallendar, Deutschland, vollzogen wurde.

Der europäische Kontext gilt auch für die geistlichen Gemeinschaften, die auf einer Ordensspiritualität gründen: Die Franziskanische Gemeinschaft, die sich zur Nachfolge Christi im Geist des Franziskus von Assisi berufen weiß; die Gemeinschaft christlichen Lebens, die das Erbe des spanischen Ignatius von Loyola erneuern will; die Dominikanische Gemeinschaft, die im Geist des spanischen Ordensgründers Dominikus lebt und die Theresianische Karmelgemeinschaft, die das Erbe der spanischen Ordensgründer Theresa von Avila und Johannes vom Kreuz für unsere Zeit leben.

Für die neuen geistlichen Bewegungen im deutschsprachigen Raum hat die Annahme geistlicher Impulse aus anderen europäischen Ländern immer ein hohes Maß an Sensibilität und Toleranz erfordert; nicht nur was die Sprachbarrieren betrifft. Die zahlreichen Kontakte und Initiativen auf internationaler Ebene bieten Christen in Deutschland jedoch auch die Chance, ihren Glauben weltweiter und damit "katholischer" zu leben.

Im zusammenwachsenden Europa stellt der osteuropäische Raum eine besondere Herausforderung dar, neue Wege der Evangelisierung zu entdecken und zu gehen. Für diese Aufgaben dürften die neuen geistlichen Bewegungen einen unverzichtbaren Beitrag leisten.

3. Geistliche Aufbrüche als Ausdruck der "Ecclesia semper reformanda"

Das Wort von der ständig erneuerungsbedürftigen Kirche hat die Jahrhunderte hindurch die Geschichte der Kirche entscheidend geprägt. Immer wieder gab es innerkirchliche Aufbrüche, die das Evangelium radikal zu leben suchten (z. B. Ordensgründungen durch Benedikt von Nursia, Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi und Ignatius von Loyola).

Durch Jahrhunderte war die Nachfolge Christi weitgehend mit der Spiritualität der Orden verbunden. Eine eigene "Laienspiritualität" entwickelte sich erst wieder intensiver im 20. Jahrhundert. Das Wort vom Volk Gottes als "auserwähltes Geschlecht" und "königlicher Priesterschaft" (1 Petr 2,9) wurde neu entdeckt. Die Mehrzahl der geistlichen Bewegungen wurde vor dem Zweiten Vatikanum grundgelegt; das Konzil hat sich jedoch auf diese Bewegungen selbst und auf ihre Vitalität maßgebend ausgewirkt. Nur in aller Kürze können einige Leitthemen als Anknüpfungspunkte genannt werden: die Lehre vom geschichtlich wandernden Volk Gottes, vom Leib Christi in Einheit und Verschiedenheit aller Glieder, von der Würde der einzelnen Charismen und Begabungen in der Kirche, von der überragenden Bedeutung des gemeinsamen Priestertums aller Glaubenden, vom Zusammenwirken der Laien und Amtsträger. Mit einem zentralen Text soll dieser Zusammenhang exemplarisch belegt werden. So heißt es über die Charismen in der Kirchenkonstitution "Lumen gentium": "Derselbe Heilige Geist heiligt ... nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern 'teilt den Einzelnen, wie er will' (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen gemäß dem Wort: 'Jedem wird der Erweis des Geistes zum Nutzen gegeben' (1 Kor 12,7). Solche Gnadengaben, ob sie nun von besonderer Leuchtkraft oder aber schlichter und allgemeiner verbreitet sind, müssen mit Dank und Trost angenommen werden, da sie den Nöten der Kirche besonders angepaßt und nützlich sind" (LG 12). Von diesem Text des Konzils her, der sicherlich zu den eindrucksvollsten Zeugnissen der Erneuerung durch das Vatikanum II gehört, wird auch offenkundig, was mit "geistlich" in dem Begriff geistliche Bewegungen gemeint ist: eine geistgewirkte, von den Charismen bestimmte Wirklichkeit, wie sie im Bereich des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe lebendig wird.

Hinweise, daß die neuen geistlichen Bewegungen mit großen Grundkräften der nachkonziliaren Erneuerung und mit vielen anderen Strömungen des heutigen kirchlichen Lebens in engster Verbindung stehen und sich gegenseitig befruchten, finden sich wiederholt in kirchenamtlichen Stellungnahmen und Dokumenten. Die Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zu den Lineamenta für die Bischofssynode 1987 nennt als bedeutsame Grundformen der Gemeinschaft im Apostolat der Laien die klassischen katholischen Verbände, die geistlichen Bewegungen und Basisgemeinschaften (vgl. Stellungnahme 2.5, herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz als Arbeitshilfe 45, 2. Mai 1986, 18 f). Das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Christifideles Laici" (CL) betont für die Zusammenschlüsse von Laien auch den Reichtum und die Vielgestaltigkeit der Gaben, die der Geist in der Kirche lebendig erhält (vgl. a. a. O. Nr. 29). Die neuen geistlichen Gemeinschaften sind so mitten im Leben der Kirche, nehmen an ihrer vielfachen Selbstverwirklichung teil und sind Kirche in einem authentischen Sinn. Je nach Struktur ergeben sich daraus freilich auch rechtliche Fragen, wie sie sich nämlich zu den verfaßten Organen des kirchlichen Lebens und zum geistlichen Amt im besonderen verhalten. Das neue Kirchenrecht hat dafür einen breiten Raum von verschiedenen Realisierungsformen geschaffen, die noch längst nicht genügend ausgeschöpft sind (vgl. CIC 1983, Can. 113 - 123, 215, 223, 298 - 329).

Die Bischofssynode 1994 hat über "Das gottgeweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt" beraten. Bereits in den vorbereitenden Dokumenten waren "Neue Gemeinschaften und erneuerte Formen des Lebens nach dem Evangelium" umschrieben worden. Das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Vita Consecrata", das am 25. März 1996 vorgelegt worden ist, verbindet die Umschreibung der neuen Gemeinschaften mit dem Hinweis, daß die neuen Vereinigungen keine Alternativen zu den früheren Institutionen sind, sondern eine Gabe des Geistes, der sich durch die Zeichen der Zeit offenbart und Ursprung der Gemeinschaft und ewiger Erneuerung des Leben ist (vgl. VC Nr. 62).

4. Gemeinsame Leitelemente neuer geistlicher Bewegungen

Aus dem vielschichtigen Erscheinungsbild neuer geistlicher Aufbrüche und Bewegungen lassen sich - mit einer gewißen Abstraktion - einige gemeinsame und durchlaufende Perspektiven herausgreifen. Diese Leitelemente kommen in den einzelnen Bewegungen in unterschiedlicher Gewichtung zum Tragen (zum Folgenden vgl. F. Valentin (Hrsg), Neue Wege der Nachfolge, Salzburg 1981, 207 ff, M. Tigges, Neue geistliche Bewegungen - eine Anfrage an Berufung und Sendung der Kirche heute, in: Ordenskorrespondenz 3/1987, 291 ff).

4.1 Spiritualität und Glaubenserfahrung

Die verschiedenen Gruppen von Bewegungen hält das Interesse an Spiritualität zusammen. Es geht nicht in erster Linie um Aktion und Programm, Effizienz und Strategie, vielmehr um eine Erneuerung des menschlichen Denkens und Wollens aus dem Geist des Evangeliums. Diese Spiritualität knüpft meistens an große Vorbilder und Meister des geistlichen Lebens an und bedient sich nicht selten herkömmlicher oder auch neuer Techniken und Einübungsformen der Meditation und des Gebetes. Gemeinsam dürfte den geistlichen Bewegungen auch der Drang nach Glaubenserfahrung sein. Sie wollen sich nicht mit einem äußeren Kennenlernen von Formeln und Begriffen begnügen, sondern - um mit der klassischen Tradition zu sprechen - die Dinge Gottes von Innen her verkosten.

Aus der Glaubenserfahrung in der Gemeinschaft entspringt auch das gemeinsame Sprechen darüber, das selbst wiederum elementare Voraussetzung ist für das Zeugnis des Glaubens nach außen. Bei fast allen Gruppen spielt dabei die Lektüre der Heiligen Schrift und das Bibelgespräch eine große Rolle. Die Erneuerung des Gottesdienstes in kleinen Gruppen, aber auch in größerer Gemeinschaft und eine Neubesinnung auf die Sakramente gehören zu dieser Spiritualität, die sich bewußt als zur Kirche gehörig begreift.

Einige Gruppierungen bemühen sich besonders um ein vertieftes Verständnis der Taufe; die Tauferneuerung steht bei ihnen an entscheidender Stelle (Charismatische Erneuerung, Cursillo-Bewegung, Neue katechumenale Gemeinschaft).

Das Sakrament der Ehe neu zur Erfahrung werden zu lassen, ist ein besonderes Anliegen der verschiedenen Ehe-Gruppen (Equipes Notre Dame, Marriage Encounter).

Auch das Bußsakrament wird in diesen Gemeinschaften neu entdeckt. Die Entwicklung weg von der kurzen schematischen Beichte hin zum Beichtgespräch und zur geistlichen Beratung und Führung ist für die Mitglieder gleichsam eine Selbstverständlichkeit geworden.

Das Sakrament der Firmung und die Feier der Krankensalbung haben vor allem in der Charismatischen Erneuerung einen neuen Stellenwert erhalten.

Schließlich wächst in solchen intensiv christlichen Gruppen neu das Gespür für die Notwendigkeit und den Geschenkcharakter geistlicher Berufe. Aus den verschiedenen Bewegungen haben sich schon zahlreiche junge Menschen für den kirchlichen Dienst entschieden (vgl. hierzu auch das Nachsynodale Apostolische Schreiben "Pastores dabo vobis" vom 25. März 1992, Nr. 68).

Spirituelle Erfahrung braucht neben Reflexion und geistlicher Führung, neben Zeiten der Stille und des Gottesdienstes auch das Element der Weiterbildung, wenn sie nicht bei einer subjektiv gefärbten Innerlichkeit stehen bleiben will. Die Bewegungen sorgen daher dafür, daß in regelmäßigen Treffen und/oder durch schriftliche Mitteilungen den einzelnen eine entsprechende Hilfe an die Hand gegeben wird (Werkhefte und Monatszeitschriften).

4.2 Evangelisation und Katechese

"Evangelisation" oder "Evangelisierung" ist in der deutschen Sprache noch ein relativ junger Begriff, der jedoch in den letzten Jahren immer häufiger in theologischen Abhandlungen, katechetischen Papieren und Predigten verwendet wird (vgl. hierzu u. a. das grundlegende Apostolische Schreiben von Papst Paul VI. über die Evangelisierung in der Welt von heute "Evangelii nuntiandi" vom 8. Dezember 1975; das Apostolische Schreiben "Christifideles Laici" von Papst Johannes Paul II., dort bs. die Nrn. 34 und 44, vgl. auch den Artikel "Evangelisation" im Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 3, Spalte. 1033 - 1036, Freiburg 1995).

Die neuen geistlichen Bewegungen legen Wert auf die Verwirklichung des Auftrags, das Evangelium zu verkünden, gerade in den Bereichen, in denen die Kirche nur durch das Apostolische Zeugnis der Laien das "Salz der Erde" werden kann (vgl. hierzu auch die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils über das Laienapostolat, LG 33).

Aus dem Mangel an echter Katechese sind z. B. das Neukatechumenat und das Cursillo, das bewußt offen ist für engagierte Christen wie für sogenannte Fernstehende, entstanden. Es sind oft ungewohnte, neue Wege, auf denen das Evangelium weitergetragen wird. Es zeigt sich aber in den Wirkungen, daß solche Versuche echte Hilfen sind, den Auftrag Christi in der heutigen Zeit zu erfüllen. Dies erkennt man u. a. daran, daß der Mut zum engagierten Glaubensbekenntnis - von einzelnen Mitglieder oder der Gruppe gelebt - vor allem jungen Menschen den Zugang zur christlichen Botschaft neu erschließt. Im Umfeld der charismatischen Erneuerung werden verstärkt "geistliche Bibelschulen" und "Lebens- und Glaubensschulen" angeboten. Um die Evangelisation glaubwürdig verwirklichen zu können, betonen und fördern die geistlichen Bewegungen - entsprechend ihrem besonderen Charisma - die innere Einheit zwischen dem praktischen Leben und dem Glauben ihrer Mitglieder.

4.3 Gemeinschaft und Brüderlichkeit

Bezeichnend für die geistlichen Bewegungen ist auch die Überzeugung, als Glaubende gemeinsam unterwegs zu sein. Die Schriftstelle "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18,20) ist für manche Gemeinschaft Leitwort geworden; erst durch Christus und in ihm ist wirkliche Gemeinschaft und brüderliche Gesinnung untereinander möglich. Die Erfahrung von Gemeinschaft im Namen Jesu ist aber nicht Selbstzweck. Sie ist von Anfang an offen für andere. So kann die Gruppe bzw. die konkrete geistliche Gemeinschaft auch als "Kirche im kleinen" verstanden werden (vgl. dazu LG 11, GS 48, AA 11, Apostolisches Schreiben "Familiaris consortio", Nr. 49 u. a.). So übersetzt sich die Rede von der Kirche als "Communio" in erfahrbare und anschauliche Nähe.

Ein solches Leben in geistlicher Gemeinschaft ist darum in verschiedenem Sinn von Geschwisterlichkeit geprägt. Diese hat notwendigerweise einen weitgespannten Bogen. Sie kennt die Geborgenheit und Nähe der überschaubaren Gruppe, sie weiß etwas von der Solidarität größerer Gemeinschaften; gerade in der Kirche bedeutet dies umfassende Katholizität und Internationalität. Darum gehen viele geistliche Bewegungen auch an die "Straßen und Zäune", Randzonen und Außenbezirke unseres Lebens. Geschwisterlichkeit wird zur Diakonie. Der Weg zu Gott führt über den Bruder und die Schwester.

Vor allem geht es immer wieder darum, das Christsein im Alltag zu verwirklichen. Dazu wollen die verschiedenen Gruppentreffen eine Hilfe und Ermutigung sein. Der persönliche Austausch, die Korrektur und Ermutigung, vor allem aber die Erfahrung, nicht allein in diesem Bemühen zu sein und sich mit anderen verbunden und von ihnen getragen zu wissen, gibt den einzelnen immer neue Kraft für ihre ganz unterschiedlichen Aufgaben. Für die heutige materialistisch denkende und konsumorientierte Gesellschaft dürfte die Tendenz zur Armut, wie sie von vielen Mitgliedern der geistlichen Bewegungen gelebt wird, ein besonders aktuelles Zeugnis sein.

Als offene Gemeinschaft sind viele geistliche Bewegungen auch ökumenisch ausgerichtet. So ist z. B. das "Lebenszentrum Ottmaring" bei Augsburg durch das Engagement der Fokalarini als ökumenische Begegnungsstätte entstanden.

4.4 Aufgaben in der Welt und Sendung

Diese Geschwisterlichkeit ist nicht nur - wie schon erkennbar wurde - gruppenintern, sondern bezieht sich auf alle Menschen. Der Weltauftrag wendet sich jedoch zuerst an Personen, die der Hilfe bedürfen, nur in zweiter Linie treten auch gesellschaftliche und politische Strukturen in den Vordergrund des Interesses. Dies ist besonders bei den Aufgaben der Diakonie erkennbar. Es ist ein Kennzeichen der neuen geistlichen Bewegungen, daß ihre Weltzuwendung nicht loszutrennen ist von ihrer Spiritualität. Kontemplation und Kampf, um mit Roger Schutz aus Taizé zu sprechen, gehören zusammen. Weltdienst und Heilsdienst werden zwar unterschieden, brauchen aber einander und vermitteln sich gegenseitig. Es ist freilich ein kritischer Zug in dieser Form des Weltauftrags erkennbar: das Engagement in der Welt ist gepaart mit gleichzeitiger Distanz. Gegenüber der offenen Gesellschaft mit ihren Bedürfnissen und Interessen besteht ein letzter Vorbehalt. Auch wenn die Welt der Ort der von Glaube, Hoffnung und Liebe geprägten Spiritualität ist, so bleibt sie doch das Vorletzte. So bleibt der Weltauftrag der neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen immer irgendwie auch eine Art Gegenentwurf, eine Alternative, was sie gewiß mit manchen Tendenzen in bestimmten Gruppen heutiger Subkulturen verbindet. Dies gilt z. B. für die Suche nach Formen alternativer Lebensstile. Aber auch diese sind von der spirituellen Triebkraft beeinflußt, wie sich z. B. an der vielfach geübten Praxis der "Wüstentage" erkennen läßt. Das wahre Sicheinlassen auf die Welt geht einher mit einem eschatologisch orientierten Verzicht. Hier gibt es Berührungspunkte mit den klassischen Orden und den Säkularinstituten (vgl. hierzu auch VC 62).

4.5 Neues Verhältnis von Laien und Amtsträgern

Die neuen geistlichen Bewegungen sind weitgehend von Laien getragen, auch wenn viele Priester Pionierfunktionen innehaben oder innehatten. Die Funktion der Verantwortlichen ist eher die Ausübung des Leitungscharismas als die Verwaltung eines Amtes. Häufig finden wir in den Bewegungen die Koordination durch ein Leitungsteam. Zweifellos vollzieht sich in den neuen geistlichen Aufbrüchen eine gewisse Erneuerung des Laienapostolates. Aber über diese Tatsache hinaus ermöglichen die geistlichen Bewegungen ein neues Verhältnis von Laien und Amtsträgern. Sie stehen sich nicht als unterschiedliche "Stände" gegenüber. Sie begegnen einander zuerst auf dem Boden des gemeinsam gelebten christlichen Glaubens. Das gemeinsame Priestertum aller Glaubenden schafft eine elementare geschwisterliche Gemeinschaft, die selbstverständlich unterschiedliche Aufgaben und Funktionen zuläßt, ja geradezu fordert und anerkennt. Das oft unfruchtbare Gegenüber von Institutionen und Charisma, von Amt und Laientum entkrampft sich, weil es im gelebten Christsein eine Voraussetzung gibt, die alle Gegensätze und Spannungen umgreift und dadurch wenigstens mildert. So ermöglichen die neuen geistlichen Aufbrüche die Umsetzung der großen Prinzipien der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils in das gelebte Leben im Alltag der Welt.

6 Neue Form von Kirchlichkeit

Blickt man auf die genannten fünf Strukturelemente, die den verschiedenen neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen gemeinsam zu sein scheinen, zurück, so kann man von allen Dimensionen her wahrnehmen, wie sich eine neue Form von Kirchlichkeit abzeichnet, die nicht mehr nur institutionsbezogen ist oder gar ideologische Züge annimmt: primär und fundamental getragen von Spiritualität und Glaubenserfahrung, ausgerichtet auf die Verkündigung des Evangeliums an alle Welt, umfassende Gemeinschaft in vielen Ebenen und praktizierte Brüderlichkeit, Hinwendung zur Not der Welt und neues Miteinander von Laien und Amtsträgern. Gerade in diesen Perspektiven kündigt sich eine neue und von vielen gesuchte Form wahrer "Kirchlichkeit" an, die Raum läßt für die Vielfalt der Charismen und Dienste und eine gegenseitige Bereicherung ermöglicht. So erheben die geistlichen Bewegungen und Intensivgemeinschaften keinen Absolutheitsanspruch; ihnen gemeinsam ist das Bewußtsein, ein Funke im Feuer des Heiligen Geistes zu sein, der der Kirche in unserer Zeit geschenkt ist. Die geistlichen Bewegungen haben immer von sich aus den Kontakt zum Amt in der Kirche gesucht. Die Treue zur Ortskirche ist für sie ein wichtiges Element. Es ist sicherlich auch ein Zeichen für die Katholizität und Weite der Kirche, daß die neuen geistlichen Gemeinschaften und Laienbewegungen bewußt in der Kirche und von dieser anerkannt bestehen (vgl. vor allem AA 21 und CL 30, wo Kriterien der Kirchlichkeit für die Zusammenschlüsse von Laien genannt sind).

5 Mögliche Gefährdungen und Schwierigkeiten in neuen geistlichen

Bewegungen

Die neuen geistlichen Aufbrüche sind nicht fertige Größen, sondern sie sind immer wieder in Korrektur begriffen. Darum ist es notwendig, wenigstens kurz von ihren Gefährdungen zu sprechen (vgl. ergänzend M. Tigges a. a. O. 295 ff).

1 Spirituelle Einseitigkeit

Wer streng und entschieden nach der Lebensordnung neuer geistlicher Bewegungen sein tägliches Dasein und Tun gestaltet, muß dies entschieden tun, sonst gelingt ihm keine durchgreifende Erneuerung des Lebens. Aber jede spezifische Ausrichtung kann auf längere Zeit auch blind machen für andere Erfahrungen. Darum scheint es mir notwendig zu sein, daß die neuen geistlichen Aufbrüche sich dieser Gefahr der Überbetonung und Einseitigkeit bewußt werden. Fehlentwicklungen und Irrwege müssen nüchtern für möglich gehalten werden. Schutz davor bietet Offenheit gegenüber anderen Erfahrungen, weltweiter Erfahrungsaustausch und Ergänzung durch den Kontakt mit anderen geistlichen Bewegungen. Das Wissen um diese Komplementarität schützt vor elitärer Übersteigerung, die ja eine sehr hohe, aber weitgehend verborgene Gefahr gerade spiritueller Menschen sein kann.

5.2 Ausschließlichkeitsanspruch einzelner Ansätze

Es wurde bereits gesagt, daß die neuen geistlichen Bewegungen Kirche verwirklichen. In diesem Sinne können sie eine "Kirche im kleinen" sein. Aber gerade darum dürfen sie sich nicht selbstgenügsam abkapseln und sich nicht von den großen Aufgaben der Kirche zurückziehen. Sie dürfen sich nicht als die Kirche betrachten. Sonst werden sie faktisch eine Art Sekte, die nach außen alles andere abzuwerten in Gefahr ist und einen Ausschließlichkeitsanspruch vertritt, der zu Überheblichkeit und Intoleranz führen kann. Solche Gemeinschaften verlieren bald auch den Bezug zur Kirche im konkreten Sinne: zur Pfarrei vor Ort, zum Bistum und zur Weltkirche. Ein solches konkretes Stehen in der ganzen Kirche ist ein wichtiges Kriterium.

3 Flucht in die Intimität der Kleingruppen

Eine Gefahr besteht auch darin, daß neue geistliche Aufbrüche zu einer Zufluchtsstätte werden, in der sich vorwiegend Menschen sammeln, die zwar mit Recht Geborgenheit suchen, zugleich jedoch in eine solche Intimität der Kleingruppe flüchten. Sie scheuen die vielfache Auseinandersetzung mit den Fragen und Herausforderungen des Alltags in der modernen Welt. Es ist gewiß legitim, wenn einzelne Menschen in diesen Gemeinschaften gegenüber einer Überforderung und dem Streß dieses Prozesses der Auseinandersetzung zeitweise oder auch für immer Schutz finden, aber dies darf nicht eine Gemeinschaft als solche tiefgreifend prägen. Geistliche Gemeinschaften dürfen nicht zu Schlüpflöchern werden für Menschen, die dieser Auseinandersetzung nicht gewachsen sind. Solche verdienen bergenden Schutz und ermunternde Nähe, aber sie brauchen auch Unterstützung und Ermutigung. Sonst werden geistliche Bewegungen und Intensivgemeinschaften zu problematischen Fluchtburgen für "Aussteiger", die sich letztlich dem christlichen Lebenszeugnis versagen.

4 Vermischung menschlicher Reformwünsche mit den Impulsen des Geistes

Wer sich mit solcher Sensibilität und Intensität auf den "Zeitgeist" einläßt wie viele neue geistliche Bewegungen, der muß besonders tief gründen, um die notwendige Unterscheidung der Geister vollziehen zu können. Die starke Öffnung nach außen und die Aufforderung, die Botschaft Jesu im Alltag zu verwirklichen, kann auch in geistlichen Bewegungen zum Aktionismus führen. Größer dürfte jedoch die Gefährdung sein, die eigenen Reformwünsche mit den Impulsen des Geistes zu vermischen. Hier wird die Notwendigkeit deutlich, Lehre und Praxis einer "Unterscheidung der Geister" wieder zu einem Schwerpunkt kirchlicher Verkündigung und kirchlichen Lebens zu machen, gerade angesichts der dem Laien aufgetragenen Sendung in eine zunehmend komplexe und für den Glauben ambivalente Welt (vgl. Stellungnahme der Deutschen Bischoftskonferenz zu den Lineamenta für die Bischofssynofe 1987, 3.3; vgl. auch das Eröffnungsreferat von Bischof Karl Lehmann bei der Herbst-Vollversammlung 1997 in Fulda "Wächter wie lange noch dauert die Nacht?" zum Auftrag der Kirche angesichts verletzter Ordnungen in Gesellschaft und Staat, Kapitel 1).

Für die positive Auseinandersetzung mit diesen und anderen Gefährdungen und Schwierigkeiten bleiben die neuen geistlichen Bewegungen und Gemeinschaften angewiesen auf ein Klima des Wohlwollens und der Ermutigung innerhalb der Communio der Kirche, vor allem von seiten der Amtsträger.

6. Förderung und Koordination des Laienapostolates durch den Päpstlichen Rat für die Laien

Der Päpstliche Rat für die Laien ist Teil der Römischen Kurie. Mit der Apostolischen Konstitution "Regimini ecclesiae universae" vom 15. August 1967 hat Papst Paul VI. die vom Konzil gewünschten Kurienreform verwirklicht und durch weitere nachfolgende Reformprozesse ergänzt. Trotz der Bezeichnung als "Rat" ist der Pontificium Consilium Pro Laicis von der Aufgabenstellung und der Zielsetzung her eher einer Kongregation zu vergleichen.

Der Artikel 131 der Apostolischen Konstitution "Pastor bonus" über die Römische Kurie lautet: "Der Rat ist in jenen Fragen kompetent, die ihn vom Apostolischen Stuhl her für die Förderung und Koordination des Laienapostolats berühren, und im allgemeinen in jenen Fragen, die das christliche Leben der Laien als solche betreffen" (AAS 80 (1988), 894). Diese Umschreibung dürfte die realen Möglichkeiten dieses Dikasteriums übersteigen, sie bedeutet für den Laienrat sicherlich eine bleibende Herausforderung und Antrieb zu neuen Initiativen.

Im Rahmen dieses Referates kann nur zusammenfassend auf einige zentrale Aufgaben und Initiativen des Laienrates eingegangen werden; dabei wird vor allem der Zeitraum seit 1990 berücksichtigt (vgl. zum folgenden auch "Laien heute", Informationsdienst des Päpstlichen Rates für die Laien, 18 (1996).

Der Päpstliche Rat für die Laien hat die vorrangige Aufgabe, den Papst bei der Ausübung seines Hirtenamtes zu unterstützen (vgl. Pastor bonus Art. 1). Für diese Aufgabe hat sich der Laienrat in den zurückliegenden Jahren insbesonders leiten lassen von dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben "Christifideles laici" und von den Katechesen und Ansprachen über die Laien, die Johannes Paul II. in Rom oder auf seinen apostolischen Reisen gehalten hat.

Ein weiterer Schwerpunkt sind die Beziehungen des Laienrates zu den verschiedenen Teilkirchen und zu den Bischofskonferenzen. Für zahlreiche Bischöfe war das Nachsynodale Apostolisches Schreiben CL Hilfe und Weisung bei der Behandlung neuer Fragen und Situationen in der Begleitung der Laien. In den zurückliegenden Jahren hat der Laienrat einen beträchtlichen Anstieg der Delegationen von Bischöfen registriert, die das Dikasterium anläßlich ihrer Ad-limina-Besuche aufsuchten. Auch die Zahl der persönlichen Besuche von Bischöfen beim Päpstlichen Laienrat hat zugenommen. Die häufigsten Gesprächsthemen bei diesen Begegnungen waren: die Ausbildung der Laien; die Beziehung der kirchlichen Bewegungen zu den Bischöfen und ihre Einbindung in das Leben der Ortskirche; die nicht an das Weiheamt gebundenen Dienste und Ämter, die Laien übertragen werden können; der Einsatz der Laien in der Welt; die Teilhabe der Frau und die Jugendpastoral. Die Verbindung zu den Bischofskonferenzen wird vor allem aufrechterhalten durch ihre Kommissionen für das Laienapostolat.

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt liegt in der Begleitung der nationalen Laienräte. Der Päpstliche Rat für die Laien hat sehr unterschiedliche Erfahrungen gesammelt und bewertet und 1955 ein Dokument über die Unterscheidungskriterien und die Verfassung der nationalen Laienräte erarbeitet. Es ist veröffentlicht als Nr. 38 der Zeitschrift "Laien heute" mit dem Titel: "Nationalräte von Laien. Kriterien und Modelle". Das Dikasterium wollte so zur Bildung solcher Räte auf nationaler oder regionaler Ebene als Orte wahrer Gemeinschaft, Teilhabe und Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungen des Laienstandes ermutigen.

In einer neuen Zeit der Zusammenschlüsse von Laien (vgl. CL 29) konzentrierte sich die Arbeit des Päpstlichen Laienrates zunehmend auf die Prüfung der neuen Gemeinschaftsformen und Verantwortung für ihre kirchenrechtliche Anerkennung und Einrichtung (vgl. hierzu Pastor bonus, Art. 135, AAS 80 (1988), 895). Diesen Anerkennungen gehen immer positive Gutachten der Ordinarien, in deren Diözesen die betreffenden Bewegungen eine Niederlassung haben, und Beratungen mit Bischöfen und Experten für Kirchenrecht voraus. Die zahlreichen Gesuche der neuen Zusammenschlüsse um kanonische Anerkennung oder Errichtung veranlaßten den Laienrat, einen "Verfahrensweg" für Antrag und Prüfung festzulegen. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Laienrat dabei der Untersuchung der Statuten und der Ausarbeitung von Dekreten zur Anerkennung eines Zusammenschlusses als juristische Person. Im kirchenrechtlichen Bereich ging es vor allem um Unterscheidungskriterien für Vereinigungen öffentlichen und privaten Rechts, um Mitgliedsschaft von Christen anderer Konfessionen in katholischen Laienvereinigungen oder um die kirchenrechtliche Struktur der Laienvereinigungen, deren Mitglieder radikal nach den evangelischen Räten leben.

Im Rahmen einer zunehmenden Pluralität der Vereinigungen wird der Päpstliche Laienrat oft um Rat gefragt bei der Bildung von Laienorganisationen, die in Verbindung mit der Spiritualität, dem Leben und dem Wirken von Ordensgemeinschaften stehen. Neben der Erneuerung einiger sogenannter dritter Orden entstanden zahlreiche Bewegungen, Brüderschaften und Laiengemeinschaften, die auf verschiedene Weise Ordensfamilien und dem Charisma der jeweiligen Gründer angegliedert wurden. Der Laienrat hat im Laufe von Treffen und Versammlungen immer die primäre Bedeutung des Zeugnisses der Ordensgemeinschaft und der notwendigen laikalen Identität der mit ihr verbundenen Vereinigung bekräftigt. Ordensgemeinschaft und Laienvereinigung sollen ihre Lebensstände nicht vermischen, aber eine tatkräftige und herzliche Gemeinschaft pflegen und in ihrer Sendung zusammenarbeiten. Zur Klärung und Förderung der gegenseitigen Beziehungen veranstaltete der Päpstliche Rat für die Laien in Zusammenarbeit mit der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des Apostolischen Lebens bereits in der Vorbereitungsphase der Bischofssynode über das gottgeweihte Leben ein Treffen der Generaloberinnen und -obern und Leitern von Laienvereinigungen. Die Akten erschienen unter dem Titel: "Rebzweige des einen Weinstocks" im Dokumentationsdienst Nr. 28 (1994).

Der Päpstliche Rat für die Laien steht mit mehr als 120 internationalen Laienvereinigungen im Gespräch. Die Förderung gegenseitiger Anerkennung, Zusammenarbeit und Gemeinschaft unter den verschiedenen Vereinigungen bleibt eine besondere Herausforderung in der welt-kirchlichen Koordination des Laienapostolats. In dieser Hinsicht spielt auch die Zusammenarbeit mit katholischen Jugendverbänden, -bewegungen und -gruppen eine wichtige Rolle. In den zurückliegenden Jahren konzentrierte sich ein beträchtlicher Teil der Arbeit des Laienrates auf die Vorbereitung, Organisation und Durchführung der internationalen Jugendforen und der damit verbundenen Weltjugendtage: Tschenstochau (August 1991), Denver (August 1993) und Manila (Januar 1995). Dazu kam das wichtige europäische Jugendtreffen in Loreto (September 1995) und die Durchführung der Weltjugendtage in Paris (August 1997). Diese Veranstaltungen haben entscheidend zur Wiederbelebung der Jugendpastoral auf örtlicher und universeller Ebene beigetragen. Die Tatsache, daß sich Mitglieder von Bewegungen und Vereinigungen mit einer Vielzahl von Jugendlichen aus den verschiedenen Teilkirchen treffen, hat darüberhinaus eine zunehmende missionarische Verbundenheit geschaffen. Gleichzeitig muß jedoch auch kritisch angefragt werden, inwieweit solche Großveranstaltungen in den kirchlich-gemeindlichen Alltag übertragen werden können. (Vgl. hierzu K. Nientiedt, Eine neue Generation. Die XII. Weltjugendtage in Paris, in: Herderkorrespondenz 19/1997, 500 - 505).

Zur Zeit bereitet der Päpstliche Rat für die Laien ein Welttreffen für die kirchlichen Bewegungen vor, das vom 26. - 29. Mai 1998 in Rom stattfinden wird. Dieses Treffen will Ort der Begegnung, der Freundschaft und des Gebetes sein; es will einer intensiven theologischen Vertiefung der Wirklichkeit der Bewegungen dienen und es soll ein kirchliches Ereignis sein, das die Zusammenarbeit der Bewegungen beim Werk der Neuevangelisierung anregt (vgl. "Laien heute", Informationsdienst des Päpstlichen Rates für die Laien 20 (1997), Seite 5 und 6).

7. Schlußbemerkung: Geistliche Erneuerung als bleibender Auftrag aller Christgläubigen

Die verschiedenen geistlichen Aufbrüche und Erneuerungsbewegungen sind auch heute weitgehend eine heilsame Störung der althergebrachten Ordnung. Es ist in der Praxis aber schwer möglich, daß die institutionellen Instanzen die geistlichen Impulse vollständig aufarbeiten und integrieren. Daher ist es legitim und notwendig, daß diese unterschiedlichen Aspekte intensiven christlichen Lebens sich in der Kirche, aber nicht unbedingt in bereits bestehenden Strukturen entfalten können.

Der Heilige Geist, welcher die einzigartige Zusammengehörigkeit der Kirche mit ihrem Herrn gewährleistet, schenkt Einheit und Vielheit zugleich. Er gewährt sehr viel mehr Freiheit der Geistwirkungen, der Lebensformen und auch der Erkenntnis als wir von uns aus zulassen würden. Aber letztlich dient diese Vielfalt einer neuen Form von Einheit. Diese besteht nicht in der Aufhebung der Pluralität, sondern vielmehr in ihrem freien Zusammenwirken zu einem Ganzen, wie Paulus es im 1. Korintherbrief zum Ausdruck gebracht hat. Für dieses Zusammenwirken ist entscheidend, daß geistliche Erneuerung als bleibender Auftrag aller Christgläubigen bewußt gemacht und glaubwürdig praktiziert wird (vgl. hierzu CL 18 ffl, insbes. Nr. 24 die Ausführungen über die Charismen).

Die heutigen Ausführungen haben nur auszugsweise und begrenzt neue Gemeinschaftsformen geistlichen Lebens und ihre Bedeutung für den Dienst der Kirche von heute darstellen können. Ich hoffe diese Darstellung hat ein wenig deutlich gemacht, daß neue geistliche Aufbrüche trotz vieler Unterschiede in der Entstehungsgeschichte, im äußeren Erscheinungsbild und in den Tätigkeitsfeldern in ihrer Zielsetzung weitgehend zu einer tiefen Konvergenz kommen: Die verantwortliche Teilhabe an der Sendung der Kirche, das Evangelium Christi als Quelle der Hoffnung für die Menschen und der Erneuerung für die Gesellschaft zu künden (vgl. CL, 29).

Mit dem Apostolischen Schreiben "Tertio Millenio Adveniente" hat Papst Johannes Paul II. alle Christgläubigen eingeladen, sich auf das Jubeljahr 2000 vorzubereiten. 1998, das zweite Jahr der Vorbereitungsphase, ist in besonderer Weise dem Heiligen Geist gewidmet. Für Johannes Paul ist der Geist auch für unsere Zeit die Hauptkraft der Neuevangelisierung. Somit gehört die Wiederentdeckung der Anwesenheit und Wirksamkeit des Geistes zu den wichtigen Aufgaben der Vorbereitung auf das Jubeljahr (vgl. TM, 45).

Für diesen Auftrag, der das ganze Volk Gottes betrifft, möchte ich uns abschließend ein Wort von Karl Rahner mit auf den Weg geben, das ich gern als sein "geistliches Vermächtnis" bezeichne. In seinem Beitrag "Die Kirche als Ort der Geistsendung" sagt Rahner:

"Nur wer kirchlich und selbständig,
demütig und wagemütig,
gehorsam und um eigene Verantwortung wissend,
ein Beter und Täter ist,
der Vergangenheit und der Zukunft der Kirche verbunden ist,
nur der schafft Raum,
daß Gottes stürmender Pfingsgeist,
der ewig alte und ewig junge, in ihm wirkt,
das Angesicht seiner eigenen Seele erneuert,
sich seiner bedient,
um auch die Erde zu wandeln."

(Schriften zur Theologie, Band VII, 187, Einsiedeln/Zürich/Köln, 2. Aufl. 1971; Erstveröffentlichung in Geist und Leben, 29 (1956), 97).

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Dirk Grothues

IST MEDJUGORJE EINE GEISTLICHE BEWEGUNG IN DER KIRCHE?

Mit dem Stichwort MEDJUGORJE ist mehr gemeint als der Ort in der Herzegowina, der diesen Namen trägt. Gemeint ist die Bewegung, die dieser Name ausgelöst hat, seit Jugendliche bezeugen, daß ihnen am 24. Juni 1981 und seither immer wieder die Gospa, die Gottesmutter, die Mutter Jesu erschienen sei und bis heute erscheine. Man kann diese Bewegung in ihren wichtigsten Aspekten so beschreiben: Es ist zunächst eine PILGERBEWEGUNG. Viele Millionen aus allen Erdteilen sind bis heute zu diesem Wallfahrtsort gekommen. Des weiteren bezeichnet Medjugorje eine FRIEDENSBEWEGUNG, die von innen nach außen wirkt. Menschen erfahren dort in ihrem Herzen das Geschenk des Friedens und sind bereit, diesen Frieden weiterzugeben, wo sie leben: in Ehe und Familie, in der Nachbarschaft und in der Heimatgemeinde, im Beruf und in der Politik. Dabei motiviert sie außer der eigenen Erfahrung von Versöhnung und Frieden auch der Name, mit dem die Gospa sich den Seherinnen und Sehern vorgestellt hat: Ich bin die Königin des Friedens. Drittens kann man Medjugorje eine ERNEUERUNGSBEWEGUNG nennen, die das geistliche Leben von einzelnen, von Gruppen und Gemeinden nachhaltig erneuert. Eine große Schar von Menschen hat in Medjugorje tiefe spirituelle Erfahrungen gemacht: Äußere und innere Heilungen, Bekehrungen, Erneuerung von Gebet und Glauben, Impulse zu einem heilsamen Fasten, Freiwerden von Abhängigkeiten. Das auffälligste Kennzeichen solcher Erneuerung sind Gebetsgruppen, die von Medjugorjepilgern nach ihrer Rückkehr in ihren Gemeinden gegründet werden. Dort trifft man sich regelmäßig, gewöhnlich wöchentlich, zu Gebet und Anbetung, zum Lobpreis und Rosenkranzgebeten, zur Lesung der Heiligen Schrift und zum Austausch über das Evangelium und christliches Leben. Schließlich ist Medjugorje das Markenzeichen für eine BEWEGUNG HUMANITÄRER HILFE, die ihresgleichen sucht. Das wurde besonders deutlich, als der Balkankrieg begann und auf Bosnien/Herzegowina übergriff. Millionen von Pilgern, die in Medjugorje geistliche Gaben empfangen hatten, dankten es nun mit materieller Hilfe: mit Nahrung, Kleidung, Medikamenten und anderen Hilfsgütern, mit Geld und Patenschaften für verwaiste Kinder und Kriegsopfer.

Mit dieser groben Skizze ist knapp umrissen, was gemeint ist, wenn von Medjugorje als einer Bewegung gesprochen wird. Zu erwähnen ist noch, daß diese Bewegung gespeist wird von den Botschaften, die vom 1. März 1984 bis zum 8. Januar 1987 wöchentlich und seither am 25. jeden Monats durch die Seherin Marija Pavlović als Botschaften der Gospa vermittelt werden. Sie sind in der Regel nur wenige Sätze lang und bestehen aus Impulsen, mit denen die fünf ursprünglichen Grundbotschaften - nämlich: Glaube und Umkehr, Gebet und Fasten sowie Frieden - konkretisiert werden.

Die Doppelfrage, der wir uns im folgenden zuwenden, lautet: Ist diese von Medjugorje ausgehende Bewegung eine geistliche Bewegung - und steht sie in der Kirche? Zum genaueren Verständnis dieser Frage sind noch einige Anmerkungen nötig.

Mit dem Blick auf die vorgestellte Skizze der Medjugorjebewegung könnte man sagen: es liegt doch auf der Hand, daß es sich hier um eine geistliche Bewegung handelt. Denn pilgern, beten und fasten, dem Frieden dienen und Notleidenden helfen - das spricht doch für sich selbst. Dennoch: ob eine Bewegung das Prädikat "geistlich" verdient, ist damit noch nicht eindeutig entschieden. Denn "geistlich" bedeutet im genauen Wortsinn, daß Gottes Heiliger Geist die wesentliche Triebkraft einer Bewegung ist; das aber darf man nicht fraglos voraussetzen. Manche Leute pilgern zu Orten, wo mehr Aberglaube als Glaube zuhause ist. Beten und fasten kann man auch nach der Art der Pharisäer, ohne daß man von Gottes Geist bewegt wird. Friedensinitiativen gibt es auch unter Menschen, die einfach den Krieg satthaben. Und Nächstenliebe findet man auch unter Philanthropen, die nicht immer gottgläubig sind. Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Frage, ob Medjugorje eine Bewegung in der Kirche ist. Auch hier spricht auf den ersten Blick alles dafür: die Liturgie wird nach den Richtlinien des erneuerten kirchlichen Gottesdienstes gefeiert, die Sakramente vorschriftsmäßig gespendet; die Predigten orientieren sich an der Heiligen Schrift und am Glauben der Kirche. Im Laufe der Jahre haben neben über 20 Millionen gläubigen Katholiken auch Tausende von Priestern und über 200 Bischöfe Medjugorje besucht und sich anerkennend geäußert. Manche sind mit dem ausdrücklichen Segen des Papstes gekommen. Gleichwohl: immer wieder einmal taucht der Verdacht auf, daß Medjugorje sektiererisch sein könnte. Der Bischof von Mostar bezichtigt die Franziskaner, die mit Medjugorje verbunden sind, der Manipulation und des Ungehorsams. Eine kirchliche Anerkennung im Sinne einer Glaubwürdigkeitserklärung der Erscheinungen und Botschaften gibt es bislang nicht. Offizielle Äußerungen klingen eher gegenteilig. So sagte am 14. September 1996 Kardinal Kuhariæ in einem Interview: "Die Bischofskonferenz hält an dem Urteil, das sie vor dem Krieg über Medjugorje gefällt hat, noch fest. Aufgrund der Untersuchungen, die drei Jahre lang durchgeführt wurden, kam man zum Schluß, daß in Medjugorje keine übernatürlichen Erscheinungen stattfinden" (Heft 43, Seite 13 der Gebetsaktion Maria, Königin des Friedens, Wien).

Diese wenigen Anmerkungen mögen genügen, um den Ernst und die Dringlichkeit unserer Doppelfrage nach der Geistlichkeit und Kirchlichkeit der Medjugorjebewegung zu unterstreichen.

V Ist Medjugorje eine geistliche Bewegung?

Um darauf eine begründete Antwort zu finden, ist zunächst nach ihrem Ursprung zu fragen. Ohne jeden Zweifel nahm die Medjugorjebewegung am 24. Juni 1981 ihren Anfang, als einige Jugendliche am Podbrdo, einem Hügel vor dem Berg Crnica, eine erste Erscheinung der Muttergottes hatten, der weitere am gleichen Ort in den nächsten Tagen folgten. Bei der zweiten Erscheinung, am 25. Juni, kam es zum ersten Sprechkontakt zwischen der Erscheinung und der Gruppe der von da an sechs Seherinnen und Seher, nämlich: Vicka Ivanković (16), Mirjana Dragićević (16), Marija Pavlović (16), Ivanka Ivanković (15), Ivan Dragićević (16) und Jakov Čolo (10). Die Nachricht von den Erscheinungen verbreitete sich wie ein Lauffeuer, verursachte Massenanläufe und rief damit sowohl die örtlichen kirchlichen Autoritäten wie auch die damals noch kommunistischen Behörden auf den Plan.

Zur Prüfung der Frage, ob dieser Ursprung der Medjugorjebewegung geistlich, also von Gottes Geist bewirkt ist, muß zum einen erforscht werden, ob es für dieses Phänomen irgendwelche natürliche Erklärungen gibt. Sollte das nicht der Fall sein, muß zum andern untersucht werden, ob die positiven Eigenschaften nachweisbar sind, die die Kirche in der Lehre von der Unterscheidung der Geister für maßgeblich hält.

An natürlichen Erklärungen für das Phänomen von Erscheinungen und Botschaften solcher Art kommen vor allem infrage: Psychisches Kranksein, Einbildung durch Suggestion, Halluzination durch Drogen und schließlich Manipulation. Alle diese Möglichkeiten sind gründlich erwogen und in Betracht gezogen worden. Ich erinnere daran, daß P. Jozo Zovko, der erst am 27. Juni von Exerzitienvorträgen zurückkehrte, und sein Kaplan, P. Zrinko Cuvalo zunächst vermutet haben, es könnte Drogenkonsum im Spiele sein. P. Jozo begann gleich nach seiner Rückkehr die Jugendlichen einzeln zu befragen. Davon gibt es Tonbandaufzeichnungen. Der Verdacht auf Drogeneinnahme erwies sich als haltlos. Stattdessen hegte P. Jozo den Verdacht, es könnte sich um eine kommunistische Manipulation der Jugendlichen handeln, um ihm zu schaden und ihn lächerlich zu machen. Am selben Tag noch wurden die Seher von Beamten der SUP (Kripo) nach Čitluk geholt, ausgefragt und ärztlich untersucht. Das Ergebnis: Die jungen Leute sind gesund, und bei ihnen ist keine Spur von Rauschgifteinwirkung festzustellen. Ich erinnere an die Untersuchung, die ein französisches Ärzteteam aus Montpellier während einer Erscheinung durchgeführt hat. Auch dabei ergaben sich keine Hinweise auf irgendwelche körperlichen oder psychische Krankheiten. Stattdessen stellten die Ärzte alle Anzeichen einer echten Ekstase fest, bei der die Seher für Sinneseindrücke unempfindlich sind und mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit "in einer anderen Welt" sind. Ich erinnere schließlich an die gründliche ärztliche Untersuchung, die auf Veranlassung der kirchlichen Untersuchungskommission von Fachärzten verschiedener Disziplinen vorgenommen wurde. Auch hier ergaben sich keinerlei Hinweise auf irgendwelche Krankheiten. Über alle diese Untersuchungen gibt es Dokumentationen und Publikationen. Ebenso ist Manipulation, also Betrug und Lüge, für den Ursprung der Medjugorjebewegung auszuschließen. Die Jugendlichen haben sich keinen Scherz erlaubt. Auch haben weder die Kommunisten die Jugendlichen manipuliert, um P. Jozo lächerlich zu machen, noch haben die Franziskaner manipuliert, um in ihrem Konflikt mit dem Bischof von Mostar sozusagen den Himmel auf ihre Seite zu ziehen. Für den Fortgang der Erscheinungen und Botschaften muß auf diesen Vorwurf freilich noch einmal besonders eingegangen werden, weil er von prominenter Seite, von Bischof Pavao Žanić, erhoben worden und von seinem Nachfolger, Bischof Ratko Perić, bislang nicht zurückgenommen worden ist. Ich komme karauf in Teil II. zurück, wo es um die Kirchlickeit von Medjugorje geht. Zunächst aber fragen wir uns, ob sich die positiven Eigenschaften, die die Kirche in ihrer Lehre von der Unterscheidung der Geister von echten prophetischen Erscheinungen und Botschaften verlangt, nachweisen lassen.

Nach dem Wort Jesu in Mt 7,20 lassen sich echte und falsche Propheten an ihren Früchten erkennen. Dasselbe Kriterium spielt auch für die Beurteilung von Erscheinungen und Botschaften eine wichtige Rolle. Mir selber ist dazu ein Wort von Kardinal Kuharić aus dem Jahr 1983 in lebhafter Erinnerung. Ich hatte damals die Gelegenheit, ihn in einer Privataudienz nach seiner Meinung zu Medjugorje zu befragen. Er antwortete ohne Zögern: Wenn ich das biblische Kriterium der Früchte anwende, ist Medjugorje echt. Ähnlich hat der Erzbischof von Split, Dr. Frane Franić, einmal gesagt: Die religiöse Erneuerung, die von Medjugorje ausgeht, hat in drei Jahren mehr bewirkt, als das, was wir in 40 Jahren mit unserer Seelsorge erreicht haben. Diese Urteile sind durch die Entwicklung in den folgenden Jahren bestätigt und verstärkt worden. Denn Medjugorje trägt Früchte in der ganzen Welt. Es gibt viele geistliche Berufe, die sich Medjugorje verdanken. 14 davon hat Jörg Müller in dem Buch "Danke, Maria" veröffentlicht. Neue geistliche Gemeinschaften sind in Medjugorje entstanden wie die "Oase des Friedens" und "Kraljica mira". Andere Gemeinschaften empfingen und empfangen in Medjugorje geistliche Anregungen für ihr Leben und Wirken. Eine von ihnen ist die Therapeutische Gemeinschaft von Sr. Elvira, Cenacolo, wo Drogen- und Alkoholabhängige Heilung finden. Eine andere die "Gemeinschaft der Seligpreisungen". Viele andere, ältere wie jüngere Ordensgemeinschaften haben sich beim Pfarramt in Medjugorje erkundigt, ob sie dort ein Grundstück erwerben und eine Niederlassung gründen könnten. Das ist höchst bemerkenswert und für unsere Frage bedeutsam, weil Ordensgemeinschaften ein besonders sensibles geistliches Gespür haben. Neben ungezählten Bekehrungen gibt es Hunderte von Zeugnissen über unerklärliche Heilungen. In der Pfarrgemeinde von Medjugorje sind Charismen aufgeblüht. Es entstanden dort Gebetsgruppen, die sich seit Jahren regelmäßig treffen. Der sonntägliche wie der werktägliche Gottesdienstbesuch liegen weit über dem Durchschnitt anderer katholischer Gemeinden. Von Pilgern wird immer wieder die Gastfreundschaft der einheimischen Bevölkerung gerühmt.Viele Gemeindemitglieder geben unaufdringlich Zeugnis von ihrem Glauben. In besonderer Weise gilt dies vom Leben und Zeugnis der Seherinnen und Seher. Schon bei meinem Besuch 1983 habe ich mich verwundert gefragt, wie sie den steten Andrang der Pilger, die oft bis in ihre häusliche Privatsphäre vordringen, verkraften. Inzwischen stehen sie seit mehr als 16 Jahren im Mittelpunkt weltweiten Interesses, werden in ferne Länder eingeladen, stehen öffentlich Rede und Antwort - und sind doch einfach und natürlich geblieben. Sie haben kein Interesse, ihr Ansehen und ihren Dienst in materiellen Gewinn umzusetzen. Vielmehr verstehen sie sich als Zeugen der Gospa, nach deren Botschaften sie zu leben versuchen.

Stichwort Botschaften! Zu den ca. 150 Donnerstagsbotschaften kommen jetzt seit über elf Jahren die Monatsbotschaften hinzu, also beinahe die gleiche Anzahl. Die nahezu 300 Botschaften sind in der ganzen Welt und in vielen Sprachen verbreitet. Bei der Beurteilung von Botschaften ist für die Kirche wichtig, ob sie mit der Heiligen Schrift und mit der Lehre der Kirche übereinstimmen. Ferner ist für den geistlichen Charakter der Botschaften der Glaubenssinn der Gläubigen, die diese Botschaften leben und damit spirituelle Erfahrungen machen, als Instanz zuständig. Interessant ist, was eine Diplomarbeit an der Uni Wien ergeben hat. Nach Auskunft des bekannnten Pastoraltheologen Paul Zulehner liegen die Botschaften voll auf der Linie der biblischen Tradition. Ich bin überzeugt, daß das Zeugnis der Gläubigen wie auch eine eingehende theologische Prüfung zum selben Ergebnis führen, nämlich daß es sich bei den Botschaften um echte Prophetie handelt. Mit anderen Worten: daß sie geistlichen Ursprungs sind und daß sie kirchlich sind. Damit meine ich, daß ihre Befolgung nicht aus der Kirche herausführt, sondern tiefer in sie hineinführt.

Es würde den Rahmen dieses Referates sprengen, für diese Überzeugung eine eingehende Begründung zu liefern. Stattdessen möchte ich auf eine Beobachtung hinweisen, die Sie selber nachprüfen können: Die Botschaften der Gospa nehmen keine Stellung zu Vorgängen, die in den Bereich staatlicher oder kirchlicher Kompetenz fallen. Es gibt keine Botschaften, die im Hinblick auf den Golfkrieg und den Balkankrieg der einen oder anderen Seite Recht oder Unrecht zugesprochen hätten. Es gibt keine Botschaft, in der kirchliche Bewegungen und Gruppen beurteilt, verurteilt oder bevorzugt werden. Die Gospa nimmt keine Stellung zur Frage von Hand- oder Mundkommunion. Und selbst zu dem jahrzehntelangen Konflikt zwischen den Franziskanern in der Herzegowina und den Bischöfen von Mostar findet sich in den öffentlichen Botschaften keine Stellungnahme. Auf die eine und andere private Botschaft in dieser Angelegenheit komme ich in Teil II. noch zu sprechen. Viele Gläubige, die den Marienbotschaften von Medjugorje Glauben schenken, haben sich über deren Mangel an Aktualität verwundert geäußert. Und manche meinen: Dazu müßte die Gottesmutter doch einnmal ein klares Wort sagen. Für mich liegt in dieser Enthaltsamkeit ein deutliches Glaubwürdigkeitskriterium! Nach meiner Überzeugung zeigt sich hier der Respekt der Gospa gegenüber den von Gott eingesetzten weltlichen wie kirchlichen Autoritäten. Würde sie zwischen konkurrierenden kirchlichen Gruppen parteilich Stellung nehmen, käme außerdem leicht der Verdacht auf, daß die Botschaften von interessierter Seite beeinflußt wären. Die Gottesmutter aber hat sich als Königin des Friedens vorgestellt, und ihr Anliegen ist Versöhnung. Deshalb genügen die zentralen biblischen Themen wie Gebet und Glaube, Umkehr und Fasten. Sie dienen, ganz anders als Parteinahme und Schuldzuweisung, als Wege zum Frieden und zur Versöhnung mit Gott und unter den Menschen . Vor allem zeigt sich mir in dieser Zurückhaltung der Respekt der Gospa vor der Würde und Freiheit der Menschen, wie er beispielsweise in der Botschaft vom 25.11.1987 zum Ausdruck kommt, in der es heißt: "Liebe Kinder, ich liebe euch unermäßlich und wünsche, daß jeder von euch mir gehöre. Aber Gott hat jedem die Freiheit gegeben, die ich in Liebe achte und vor der ich mich in Demut verneige." Ich habe noch keinen Psychologen gefunden, der mir erklären konnte, wie ein solches Wort über die Lippen einer jungen Frau kommen kann, die in den geläufigen Vorstellungen kirchlicher Marienfrömmigkeit aufgewachsen ist: Die Gottesmutter verneigt sich in Demut vor unserer Freiheit, auch wenn diese sich ihren Einladungen verschließt, und achtet sie in Liebe! Für mich liegt auf der Hand: So etwas kann nur sie selber sagen.

Ich ziehe aus den bisherigen Überlegungen das Fazit: Die Medjugorjebewegung ist in ihrem Ursprung und in ihrem bisherigen Verlauf eine geistliche Bewegung. Sie ist mehr als Menschenwerk. Sie stammt vom Himmel. Ihr entscheidender Antrieb ist das Geistwirken Gottes, der die Mutter Jesu als Königin des Friedens erscheinen und zur Welt sprechen läßt.

VI Ist Medjugorje eine Bewegung in der Kirche?

Wir haben festgestellt, daß die Medjugorjebewegung in ihrem Ursprung geistlich ist. Daraus kann man schließen: dann muß sie in ihrem Ursprung auch kirchlich sein. Ist doch der Hl. Geist, durch den unser menschliches Handeln geistlich wird, die Seele, das innerste Lebensprinzip der Kirche. Zentrale Lebensäußerung der Kirche ist die Feier der Sakramente. Das trifft im besonderen Maße für Medjugorje zu. Absoluter Mittelpunkt des Lebens wie auch der Gemeinde so auch der Pilger ist dort die Eucharistiefeier. Im Hinblick auf das Bußsakrament nennt man Medjugorje mit Recht den größten Beichtstuhl der Welt. Die Mitglieder der Pfarrgemeinde, die Seherinnen und Seher, die Franziskaner sind getaufte und gläubige Katholiken, gehören zur Kirche, sind Kirche. Deshalb ist auch die Bewegung, die sie ausgelöst haben, eine Bewegung in der Kirche. Der schon erwähnte Wiener Pastoraltheologe Zulehner hat vor 10 Jahren Medjugorje mit 40 Theologiestudenten besucht. Er faßte seine Eindrücke so zusammen: Medjugorje ist für mich so etwas wie ein Noviziat für die Kirche. Ein Ort, wo grundlegende kirchliche Lebensvollzüge eingeübt werden. Nun hat die Kirche zwei Aspekte. Sie ist hierarchisch geordnete amtliche Kirche, und sie ist das laós, Volk Gottes, die Laien. Diese haben ihre besonderen Charismen, sind beseelt vom Hl. Geist, "der einem jeden seine besonderen Gaben zuteilt, wie er will" (1 Kor 12,11). Dasselbe drückt der Apostel Paulus an anderer Stelle so aus: "Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut" (Eph 2,20). Zur Kirche gehören also unverzichtlich das hierarchische Amt (sprich: Diakone, Priester, Bischöfe und der Papst als Bischof von Rom), aber ebenso auch die Propheten (sprich: geisterfüllte Frauen und Männer und auch Kinder). In der Apostelgeschichte heißt es: "Eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden, eure jungen Männer werden Gesichte schauen (2,17b). Die Regel sollte sein, daß die Amtsträger und die Charismatiker, Priester und Propheten, Amtskirche und Volkskirche einträchtig zusammenwirken. Aber das ist leider nicht immer der Fall. Oft gibt es zwischen ihnen Spannungen und Konflikte. Und dabei kann die eine wie die andere Seite sich verfehlen. Die Kirchengeschichte bietet dafür genügend Beispiele. Das kirchliche Amt kann sich - wo es nicht mit höchster Autorität unfehlbar spricht - irren und sich gegenüber echten Propheten und Prophetien verschließen. So hat die Amtskirche z. B. die Jungfrau von Orléans als Ketzerin verbrannt, bevor sie zur Einsicht kam, daß diese eine Heilige ist und in Gottes Auftrag handelte. Die Geschichte vieler Orden und geistlicher Gemeinschaften in der Kirche zeigt, daß ihre geistbewegten Gründerinnen und Gründer oft auf harten amtskirchlichen Widerstand und Widerspruch trafen, bevor sie schließlich anerkannt wurden. Im Zusammenspiel von Amt und Charisma, von Amtsträgern und Propheten haben beide Seiten von Gott ihre besondere Gabe und Aufgabe. Die Propheten, die sich unmittelbar von Gottes Geist berufen und bewegt wissen, müssen zu ihrer Sendung stehen und notfalls Gott mehr gehorchen als den Amtsträgern der Kirche, wenn diese ihnen den Mund verbieten wollen - durchaus vergleichbar den Aposteln vor dem Hohen Rat (siehe Apg 4,18-20). Wieviel Schwierigkeiten und Anfeindungen hat z. B. Bernadette von Soubirous vonseiten kirchlicher Vertreter erleiden müssen, ehe ihre Sendung nach jahrelangen Verdächtigungen anerkannt wurde. Wieviel Unverständnis und Mißtrauen mußten die Kinder von Fatima durchleiden, ehe die Kirche sich dazu entschloß, ihre Erscheinungen und Botschaften als glaubwürdig anzuerkennen. Auf der anderen Seite hat das Amt in der Kirche den Auftrag, Propheten und Prophetien zu prüfen, ob sie aus Gott sind; denn es gibt ja auch falsche Propheten und falsche Prophetien.

Was nun die Medjugorjebewegung angeht, so haben wir es derzeit mit genau diesem klassischen Konflikt in der Kirche zu tun. Die Seherinnen und Seher wissen sich von Gott in Dienst genommen und bezeugen ihre geistlichen Erfahrungen, ihre Begegnungen mit der Gospa. Die amtlichen Seelsorger von Medjugorje haben sie geprüft und sind zu der Überzeugung gekommen: wir habe es mit echten, von Gottes Geist bewirkten Erscheinungen und Botschaften zu tun. Am Ort selber gehen also apostolisches Amt (= die Priester und Seelsorger der Gemeinde) und prophetisches Charisma (= die Seherinnen und Seher) einmütig miteinander. Das Gegeneinander findet auf der höheren Amtsebene statt: zwischen der Ortsgemeinde von Medjugorje und inzwischen darüberhinaus der weltweiten Medjugorjebewegung einerseits und dem Bischof von Mostar und den meisten seiner Amtskollegen in der Bischofskonferenz auf der anderen Seite. Der Konflikt kommt deutlich in dem schon herangezogenem Interview von Franjo Kardinal Kuhariæ zum Ausdruck, wo er feststellt: "Die Bischofskonferenz hält an dem Urteil, das sie vor dem Krieg über Medjugorje gefällt hat, noch fest. Aufgrund der Untersuchungen, die drei Jahre lang durchgeführt wurden, kam man zum Schluß, daß in Medjugorje keine übernatürlichen Erscheinungen stattfinden."

Sehen wir uns diese bemerkenswerte Äußerung genauer an. Im Jahre 1996 hält die Bischofskonferenz an dem Urteil fest, das sie in der Erklärung von Zadar am 11. April 1991 getroffen hat. Dieses Urteil ist damals gefällt worden aufgrund von Untersuchungen, die die 1986 eingesetzte Kommission drei Jahre lang vorgenommen hat, also etwa in der Zeit von 1987 bis 1990. Damit wird indirekt zugegeben, daß die ersten sechs Jahre wie auch die sechs Jahre seit 1991, in denen kriegsbedingt keine Untersuchungen stattfanden, unberücksichtigt geblieben sind. In diesen zwölf Jahren hat das Phänomen Medjugorje aber vital existiert! In den Kriegsjahren hat es eine fast unglaubliche Resonanz an tatkräftiger Hilfe auf die Not in Bosnien/Herzegowina gegeben, und zwar nachweislich von Pilgern und Gruppen, die durch Medjugorje motiviert waren. Trotz des Krieges, der bis an die Ortsgrenze von Medjugorje herangetragen wurde, ist der Erscheinungsort unbeschädigt und eine Oase des Friedens geblieben. Kann man das alles unberücksichtigt lassen? In der von Haß und Feindschaft hochemotionalisierten Atmosphäre des Krieges kamen aus Medjugorje, aus dem Mund der Seherin Vicka, Worte wie: Wir müssen auch die Serben, unsere Feinde, lieben! Ist das alles rein natürlich erklärbar? Wer sich ein wenig auskennt in den zahlreichen Bemühungen, das Phänomen Medjugorje zu ergründen, wundert sich über das - gelinde gesagt - leichtfertige Urteil der Bischofskonferenz, daß in Medjugorje keine übernatürlichen Erscheinungen stattfinden. Was ist mit der Tatsache, daß nach allen ärztlichen Gutachen die Seherinnen und Seher psychisch gesund und normal sind? Was ist mit der Tatsache, daß sich die jungen Leute nach fachwissenschaftlicher Untersuchung durch Professor Joyeux während ihrer Visionen in echter Ekstase befanden, die man nicht simulieren und künstlich herbeiführen kann? Was ist mit den vielen hundert Heilungen, die nach ärztlicher Auskunft nicht auf medizinische Kunst zurückzuführen sind? Nicht zu reden von den zahllosen Bekehrungen und geistlichen Erfahrungen, die aus ungläubigen und kirchenfernen Menschen gläubige Christen gemacht haben?

Nun wird man der Bischofskonferenz nicht Verantwortungslosigkeit unterstellen wollen? Aber wie läßt sich sich die mangelnde Gründlichkeit ihrer Untersuchungen verstehen? Ich selber habe dafür nur die folgende Erklärung: Offenbar hat es der Bischof von Mostar verstanden, seine persönliche Deutung des Phänomens Medjugorje der Mehrzahl seiner Kollegen so zu vermitteln, daß sie sich seiner Einschätzung angeschlossen haben oder sich eines eigenen Urteils enthielten. Das dürfte ihnen umso leichter gefallen sein, als er das Phänomen Medjugorje mit dem "Fall Herzegowina" vermischt hat, in dem die Bischöfe gegenüber den Franziskanern Partei sind. Wenn aber das Phänomen Medjugorje schon klar ist, wie Bischof in seiner Stellungnahme zu den Ereignissen von Medjugorje vom 30. Oktober 1984 und später noch einmal - trotz einer römischen Auflage, sich zurückzuhalten! - in einer Erklärung vom 9. Februar 1990 behauptet hat, was gibt es dann noch zu untersuchen? Dann braucht man auch nicht die Millionen von Pilgern zu beachten, die nach Medjugorje strömen. Dann kann man ihre Erfahrungen, Bekehrungen und Heilungen abtun mit der Bemerkung, daß es das alles auch anderswo gebe. Dann kann man den Glaubenssinn der Gläubigen außer acht lassen, den Papst Pius II. so hoch eingeschätzt hat, daß er die Definition des Dogmas von der leibhaftigen Aufnahme Marias in die himmlische Herrlichkeit erst vornahm, nachdem er alle Bischöfe der Weltkirche befragt hatte, was denn die Gläubigen ihrer Diözese darüber denken würden. Wenn das Phänomen Medjugorje hinreichend erklärt ist, kann man sich weitere Untersuchungen im Grunde ersparen. Dann kann ein Bischof, wie in der Tat geschehen, auf die entsprechende Frage eines Journalisten antworten: Was 12 Millionen Pilger glauben, interessiert mich nicht. Für mich ist entscheidend, was 20 kroatische Bischöfe sagen.

Wenn wir hier die Frage behandeln, ob Medjugorje eine Bewegung in der Kirche ist, kommen wir nicht umhin, uns noch genauer mit der Meinung des Bischofs Pavao Žanić zu befassen und auseinanderzusetzen, zumal diese Meinung von seinem Nachfolger Ratko Perić übernommen worden ist und auch von anderen kroatischen Bischöfen geteilt oder doch geduldet wird. Der Bischof von Mostar ist überzeugt, daß Medjugorje keine kirchliche Bewegung, sondern eine Bewegung gegen die Kirche ist. Dementsprechend gibt er vor, mit seinen Veröffentlichungen die Kirche vor Schaden bewahren zu wollen. In der Schlußfolgerung seiner Erklärung vom 30. Oktober 1984 schreibt er: in ihm sei "die moralische Gewißheit reif geworden, daß es sich bei den Ereignissen von Medjugorje um einen Fall von kollektiver Halluzination handelt". Diese Angelegenheit sei dann von einer Gruppe von Franziskanern geschickt ausgebeutet worden. Ihr Ziel sei es, in der Frage der Teilung der Pfarreien (der "Fall Herzegowina") Wahrheit und Recht für sich zu verbuchen und dem Bischof Unrecht zu geben.

Den Hauptschuldigen sieht er in P. Tomislav Vlašić. In seiner letzten Stellungnahme vom 9. Februar 1990 heißt es: "Vicka Ivanković ist die 'Hauptseherin' der ersten Jahre, und über sie startete der Schöpfer Medjugorjes, Fra Tomislav Vlašić, den größten Teil der Lüge über Medjugorje." Auch Marija Pavlović ist für ihn "nur ein Spielzeug in den Händen von Vlašić", und am Ende behauptet der Bischof: "So hat Fra Vlašić alle Seher manipuliert." Dabei hat Bischof Žaniæ in der ersten Zeit selber an die Erscheinungen geglaubt. Er hat öffentlich erklärt: "Die Kinder lügen nicht." In seiner Erklärung von 1984 gibt er zu, er habe für seine Person gedacht: "Wenn der skandalöse Fall 'Herzegowina'... nicht auf menschlichen Wegen hat gelöst werden können, dann hat vielleicht Gott die Madonna herabsenden wollen, um die Ungehorsamen anzutreiben, zum Gehorsam und zur Liebe der Kirche zurückzukehren." Was aber hat dann bei ihm den Umschwung bewirkt? Hier spielt der Fall der beiden Franziskaner Ivica Vego und Ivan Prusina eine bedeutsame Rolle. Die beiden Kapläne waren von Bischof Žaniæ wegen Ungehorsam suspendiert und auf sein Drängen hin aus dem Orden ausgeschlossen worden. In dieser Angelegenheit soll die Gospa auf Befragen gesagt haben, daß der Bischof überstürzt gehandelt habe. Die beiden seien nicht schuldig. Von da an, so scheint es, wurde der Bischof zum radikalen Gegner von Medjugorje. In der Erklärung von 1984 schreibt er: "daß die Angriffe der Madonna gegen den Bischof und die Verteidigung der Expatres von Mostar die stärksten Beweise gegen die Echtheit von Medjugorje sind." Sein Gedankengang ist demnach, um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Eine Muttergottes, die einen Bischof kritisiert, kann nicht die Muttergottes sein! Dazu zwei Anmerkungen. Aus der Kirchengeschichte kennen wir genügend Beispiele, wie Propheten hohe und höchste Amtsträger kritisiert haben. Was z. B. die heiligen prophetischen Frauen Birgitta von Schweden und Katharina von Sienna im Auftrag Gottes dem Papst Gregor XI. mitgeteilt haben, um ihn zur Rückkehr von Avignon nach Rom zu bewegen, übertrifft an Kritik und Ermahnung bei weitem alles, was Bischof Žaniæ zu hören bekam. Dabei ist zu beachten, daß diese Mitteilungen von den Franziskanern und den Sehern als persönliche Mitteilungen äußerst diskret behandelt und nie veröffentlicht worden sind. Das hat Bischof Žaniæ vielmehr selber besorgt. Wohl deshalb, weil er meinte, dies sei der stärkste Beweis gegen die Echtheit der Erscheinungen. Wie durchschlagend dieses Argument ist, mag jeder für sich beurteilen. Die zweite Anmerkung: In der Angelegenheit der beiden Patres Vego und Prusina hat Rom ein bemerkenswertes Urteil gefällt: Ihnen sei Unrecht geschehen. Sie seien ohne die Beachtung des notwendigen Verfahrens ausgeschlossen worden. Klingt das nicht fast so, wie das, was die Gospa gesagt haben soll: der Bischof habe überstürzt gehandelt?

Mit seiner Verurteilung der Medjugorjebewegung glaubt der Bischof von Mostar, die Kirche schützen zu müssen. In seinen Augen ist sie eine antikirchliche Bewegung. Er schreibt: "Die größte Gefahr steckt in der Tatsache, daß diese ganze emotionelle Aufregung um Medjugorje sich früher oder später auflösen wird wie ein Ballon oder eine Seifenblase." Und dann würde eine große Desillusionierung eintreten und die Autorität der Kirche in Mißkredit geraten. - Nun, bisher ist der Medjugorjeballon nicht geplatzt. Er wird immer größer und die Medjugorjebewegung bringt geistliche Früchte in der ganzen Welt, nicht zum Schaden, sondern zum Segen für die Kirche.

Was am Anfang dieser Untersuchung mit einem Fragezeichen versehen war: Ist Medjugorje eine geistliche Bewegung in der Kirche?, können wir nun mit stichhaltigen Gründen mit einem Ausrufezeichen versehen: MEDJUGORJE IST EINE GEISTLICHE BEWEGUNG IN DER KIRCHE!

VII Was zu tun dringend notwendig ist!

Ein klassisches Prinzip der katholischen Soziallehre ist das Subsidiaritätsprinzip. Es besagt, daß Aufgaben und Konflikte zunächst auf der unteren Ebene zu lösen sind. Sobald sich herausstellt, daß die untere Ebene damit überfordert ist, muß die nächsthöhere Ebene zu Hilfe kommen. Das ist im Fall Medjugorje geschehen. Als sich zeigte, daß daß die bischöfliche Untersuchungskommission von Mostar ihrer Aufgabe nicht gewachsen war, wurde auf römische Anordnung hin die Jugoslawische Bischofskonferenz beauftragt, den Fall zu übernehmen. Inzwischen zeigt sich überdeutlich, daß auch die Bischofskonferenz damit überfordert ist. Man beachte nur die aufschlußreiche Bemerkung von Kardinal Kuhariæ in dem schon zitierten Interview von 1996. "Die Bischofskonferenz hält an dem Urteil, das sie vor dem Krieg über Medjugorje gefällt hat, noch fest." Das klingt so, als wolle man dieses Urteil möglicherweise revidieren. Aber wie denn? Wie denn, wenn die Untersuchungskommission überhaupt nicht ernsthaft arbeitet? Ob sie es nicht kann oder ob sie es nicht will: in diesem dringenden Fall, der die ganze Kirche betrifft, muß nach dem Subsidiartitätsprinzip nun die letzte und höchste Instanz aktiv werden. Jetzt sind die römische Glaubenskongregation und der Papst gefragt. Es muß eine neutrale, unabhängige Kommission aus Theologen und Fachleuten gebildet werden, bei der alles auf den Tisch kommt und geprüft wird. Eine Kommission, die nach dem Grundsatz vorgeht: audiatur et altera pars! Beide Seiten müssen gehört und beide Seiten müssen ernstgenommen werden. Die Vertreter und Befürworter der Medjugorjebewegung und ihre Gegner.

Wie dringlich der Einsatz der letzten und höchsten Instanz der Kirche ist, mag ein interessanter Vorgang erläutern, der sich schon 1983 abgespielt hat. Der slowenische Jesuit R. Grafenauer wollte sich eine eigene Meinung über Medjugorje bilden. Er besuchte Bischof Žaniæ in Mostar, blieb drei Tage dort und besprach sich mit ihm und hörte 20 Tonbandkassetten an, die der Bischof u. a. bei seinen Gesprächen mit den Seherkindern aufgenommen hat. Daher war der Fall Medjugorje für ihn erledigt. Das Material schien ihm zu beweisen, daß Medjugorje nicht echt sein könnte. Als er dann auf Drängen des Bischofs doch noch nach Medjugorje fuhr, die Seherinnen und Seher, die Gemeinde und auch P. Tomislav Vlašić, den Pfarrer kennengelernt und gesprochen hatte, änderte er seine Meinung vollständig und kam zu der Überzeugung, daß die Erscheinungen echt seien. Man sieht an diesem Beispiel sehr gut, daß beide Seiten starke Argumente haben. Ich selbst gestehe gerne ein, daß ich mich nie für Medjugorje interessiert hätte, wenn ich nichts als nur das Papier des Bischof Žaniæ kennen würde. Da werden Äußerungen der Gospa angeführt, die sehr fragwürdig sind. Da gibt es Widersprüche und Ungereimtheiten in den Aussagen der Seherinnen und Seher, die nicht leicht aufzulösen sind. Da bleibt z. B. die Frage offen, ob Vicka Ivankoviæ ein Tagebuch geführt hat oder nicht. Trotz dieser und anderer Probleme bin ich mit Theologen wie René Laurentin und Hans Urs von Balthasar der Meinung, daß sie nicht ins Gewicht fallen, wenn man sie mit den Zeichen der Echtheit vergleicht. Hilfreiches und Klärendes hat dazu P. Ljudevit Rupèiæ in seinem Buch "Die Wahrheit über Medjugorje" geschrieben. Es versteht sich als eine Antwort auf die Erklärung des Bischofs von 1990. Was bestimmte Worte der Gospa in der Wiedergabe der Seherinnen und Seher angeht, so muß man auch das Wort der verantwortlichen Seelsorger von Medjugorje lesen, das von theologischer Kompetenz zeugt und 1986 herausgegeben wurde. Es macht auf mögliche Fehlerquellen aufmerksam und warnt davor, interessegeleitete Fragen in den Erscheinungsvorgang einzubringen. Schließlich ist für eine Beurteilung von Erscheinungen und Botschaften mit zu bedenken, was Karl Rahner in seinem Buch "Visionen und Prophezeiungen" geschrieben hat (Tyrolia Verlag, Innsbruck, 1952). Ich meine vor allem seine Unterscheidung von mystischen Visionen, die einzelnen Menschen gelten, und prophetischen Visionen, die für Kirche und Welt bedeutsam sind und für die er den Begriff "Privatoffenbarung" in Frage stellt. Beachtenswert ist weiter, was er über die Mitbeteiligung der Psyche bei der Umwandlung der empfangenen Visionen und Auditionen in Bild und Wort schreibt.

Der Fall Grafenauer zeigt, daß es wenig Aussicht auf Erfolg gibt, wenn Gegner und Befürworter von Medjugorje sich an einen Tisch setzen, um den Fall zu klären. Jeder hat seine Argumente und längst seine Option getroffen. Jeder ist davon überzeugt, die Wahrheit auf seiner Seite zu haben. Ein Grund mehr für das subsidiäre Eintreten der höchsten kirchlichen Instanz im Fall Medjugorje. Für die Beurteilung von Erscheinungen und Botschaften gibt es in der Sprache der römischen Theologie drei klassische Formulierungen: 1. Constat de non supernaturalitate, 2. Constat de supernaturalitate, und 3. Non constat de supernaturalitate. Es ist für Nichtfachleute zugegebenermaßen schwierig, die dritte dieser Formeln richtig zu interpretieren. In der Tat ist das Urteil "Non constat de supernaturalitate" in Presseschlagzeilen so wiedergegeben worden: Nichts Übernatürliches in Medjugorje! Wobei dieses Urteil von Zadar tatsächlich den Fall Medjugorje offen läßt: Es steht nicht fest, ob die Ereignisse von Medjugorje einen übernatürlichen Charakter haben. Man kann es verzeichlich finden, daß Journalisten in ihrem hektischen Tagesgeschäft sich derart irren, besonders wenn die Pressemitteilungen des Bischofs von Mostar die Erklärung von Zadar derart mißinterpretieren. Erstaunlich ist allerdings, daß selbst einem Kardinal eine solche Fehlinformation unterläuft, wie sie in dem Interview vom 14. September 1996 in der Wiener Zeitschrift MEDJUGORJE dokumentiert ist. Zeugt sie vielleicht von einer negativen Voreingenommenheit?

Noch einmal zurück zur Sache, um die es geht. Der Bischof Pavao Žanić geht davon aus, daß die Franziskaner den "Fall Herzegowina" in das Phänomen von Medjugorje hineingemischt haben. P. Tomislav Vlašić hingegen erklärt, daß er immer bemüht gewesen sei, die Erscheinungen von Medjugorje nicht mit dem "Fall Herzegowina" zu belasten. Ich frage mich: Könnte es nicht sein, daß die Königin des Friedens mit ihrem Aufruf zu Umkehr und Versöhnung auch den "Fall Herzegowina" im Blick hat? Nachdem Marija Pavlović am 26. Juni 1981 die Gospa sah, wie sie vor dem Kreuz stehend unter Tränen sagte: Friede, Friede, ihr müßt Frieden suchen!, haben sich viele gefragt: Was meint sie denn? Wir haben doch Frieden! Ja, es gab keinen Krieg. Aber es war kein Frieden in der Kirche der Herzegowina. Es gab und es gibt bis heute den "Fall Herzegowina". Und der belastet die Kirche sehr und steht ihren Bemühungen um Frieden in der Welt mehr im Wege, als es auf den ersten Blick scheint. Die Gospa hat nicht direkt auf diesen Punkt hingewiesen. Sie sagte damals zu Marija Pavlović: "Es muß wieder Frieden auf der Welt geben." Aber dabei kommt der Kirche eine überragende Rolle zu! Ist sie doch nach einer Aussage des II. Vaticanum "gleichsam das Sakrament, daß heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit. " Die Kirche kann dieses Werkzeug für Versöhnung und Frieden in der Hand Gottes aber nicht sein, wenn sie in sich zerrissen ist und in sich selbst keine Einheit und keinen Frieden hat. Deshalb kommt nach den Worten des Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben TERTIO MILLENNIO ADVENIENTE zur Jahrtausendwende der Wiedervereinigung aller Christen höchste Priorität zu. Nur eine einige Christenheit kann die Welt so evangelisieren, daß diese an Christus glauben kann (Joh 17,21: alle sollen eins sein ... damit die Welt glaubt ...). Ebenso dringend wünscht der Papst ein Zusammenwirken der großen Weltreligionen, die sich so oft bekämpft und der Welt ein Gegenzeugnis zum Frieden gegeben haben. Wie aber, das ist die Frage, soll die Kirche das alles bewirken, wenn sie in sich selbst uneins ist? Von da aus wird verständlich, daß die Gospa in einer späteren Privatbotschaft, von der Vicka berichtet, gesagt hat, daß der Zwiespalt in der Herzegowina eine große Schande sei. Es gibt sicherlich noch andere Konflikte in der Kirche, die ebenfalls überwunden werden müssen, weil sie die Glaubwürdigkeit ihrer Friedens- und Versöhnungsversuche verdunkeln. Aber dieser "Fall Herzegowina" auf der Grenze zur Orthodoxie und zum Islam ist sicher besonders gravierend. Sollte es der Königin des Friedens also auch und nicht zuletzt um die Lösung dieses Konfliktes gehen, dann läge ihre Initiative haargenau auf der Linie des Papstes: von einer in sich geeinten Kirche über die Wiedervereinigung aller Christen zu einer neuen Evangelisierung, von einem Einvernehmen der großen Religionen zum Frieden unter den Völkern, zum Frieden auf der Welt. Noch einmal die Gospa: Es muß wieder Frieden auf der Welt geben. Wenn die Friedensbewegung von Medjugorje mit der Ausrichtung des Pontifikates von Johannes Paul II. so synchron zusammenläuft, ist das ein weiterer Beweis dafür, daß diese Bewegung geistlich und in der Kirche ist. Und ein weiterer Grund, daß sich die Kirche auf höchster Ebene damit befaßt.

Was zu tun ist notwendig? Wir haben bisher vor allem über das gesprochen, was Rom tun müßte. Ein letztes Wort zu dem, was wir und alle anderen tun können, die sich in der Medjugorjebewegung engagieren. Das eine ist, daß jeder, so gut er kann, die Botschaften zu leben versucht, die die Königin des Friedens uns so geduldig und unermüdlich ans Herz legt. Ein anderes ist, daß wir in allen Medjugorjezentren und Gebetsgruppen darauf achten, daß die ursprüngliche Botschaft nicht verfälscht oder verdunkelt wird. Medjugorje ist nicht irgendeine fromme Gebetsbewegung. Ihr Programm ist nicht einfach das einer beliebigen Volksmission, wie sie von Zeit zu Zeit in unseren Gemeinden angeboten wird. Beten ist gut, fasten ist gut, zur Hl. Messe gehen ist gut, regelmäßig zur Beichte gehen ist gut, die Hl. Schrift lesen ist gut. Aber wenn wir nicht begreifen, daß es bei aller persönlichen Frömmigkeit umfassend um Frieden und Versöhnung geht, der hat den Kern der Botschaften von Medjugorje noch nicht richtig verstanden. Sicher geht es immer auch um "Rette deine Seele". Zentral für Medjugorje aber ist die biblische Botschaft: es geht Gott um die Einheit seines Volkes, um Frieden auf der Erde, um die Rettung der Welt.

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Fra Ivan Dugandzic

MEDJUGORJE UND DIE NEU-EVANGELISIERUNG

1. Der kirchliche und zeitliche Kontext Medjugorjes

Medjugorje, beziehungweise das, was man darunter versteht, wenn man heute den Namen dieser kleinen Pfarrgemeinde in der Herzegowina erwähnt, hat jetzt schon eine 17 Jahre lange rege und vor allem unvorhersehbare Geschichte. Denn wer hätte vor 17 Jahren vorhersagen können, daß die Behauptung einiger Kinder, die Muttergottes gesehen zu haben, in die entferntesten Winkel der Welt dringen würde. Wer hätte geahnt, daß sich die Gemeinde von Medjugorje in solch ein Heiligtum verwandeln würde und daß sich durch diesen Ort eine derart rege geistige Bewegung entwickeln würde, die man nicht einfach gleichgültig hinnehmen kann. Die Erfahrung der Kinder auf dem Podbrdo in Bijakovici, die inhaltsreichen Botschaften, die sie überbringen und ihr standhaftes Zeugnis hat die Gemeinde und die örtliche Kirche schon seit langem überholt und gilt nun als geistiges Phänomen von weltweitem Ausmaße. Die Kinder sind schon längst keine Kinder mehr. Zum überwiegenden Teil gründeten sie eigene Familien, während die kleine Gemeinde zu einem Sammelpunkt von Millionen von Pilgern aus der ganzen Welt wurde. Unter ihnen gibt es viele die bezeugen, in Medjugorje ihren verlorenen Glauben wiedergefunden zu haben. Viele von ihnen entdeckten erneut den Wert des Sakramentes der Versöhnung, die Tiefe und Schönheit der erlebten Eucharistiefeier und des Wortes Gottes. Andere wiederum geben Zeugnis von körperlichen Heilungen, für die es in der Medizin keine Erklärungen gibt. Von Medjugorje inspiriert und angeregt gründeten Medjugorje-Pilger und -Freunde zahlreiche Gebetsgruppen und völlig neue Ordensgemeinschaften sowohl in der Gemeinde selbst, als auch weit von ihr entfernt. Viele jungen Menschen fanden in diesen Jahren den Weg zum priesterlichen Leben und behaupten, den Keim ihrer Berufung in Medjugorje erhalten zu haben.

Wenn wir das alles als gute Früchte von Medjugorje betrachten, dann verwirklichte sich bereits das Wort des weisen Gamaliels, daß man nicht vernichten kann, was von Gott kommt (vergl. Apg 5,39). Tatsache ist, daß sowohl die Seher, als auch ihre Eltern und die Gemeinde mit ihren Priestern seit Beginn der Erscheinungen dem Druck und den Drohungen der Regierung ausgesetzt waren, die alles im Keim ersticken lassen wollte. Trotz all diesem Druck gaben sie niemals nach, obwohl man ihnen sogar mit Verfolgung drohte. Der damals zuständige Bischof war den Ereignissen zu Beginn wohlgesinnt, wandte sich dann aber plötzlich aus völlig unerklärlichen Gründen gegen sie. Die Bischofskonferenz versuchte eher aufgrund des Druckes aus der Öffentlichkeit als aus eigenem Willen herauszufinden, welcher Geist in Medjugorje wirkt und versuchte ausgleichend zu wirken, als sie Medjugorje als Heiligtum anerkannte und dabei gleichzeitig betonte, daß es nötig sei, dieses Phänomen weiterhin zu untersuchen. Eine solche Stellung der Bischöfe erscheint nur dann logisch, wenn man voraussetzt, daß sie beim gegenwärtigen Stand der Ereignisse und Untersuchungen noch kein positives, vor allem aber kein negatives Urteil fällen konnten. Denn wenn sie wirkliche Gründe gegen Medjugorje gehabt hätten, dann hätten sie zumindest das letztere sofort tun müssen. Zu Mißverständnissen kam es aufgrund späterer Aussagen einzelner Mitglieder dieser Bischofskonferenz, die man interpretieren könnte, als ob es in Medjugorje nichts Übernatürliches gäbe. Dies hatte zur Folge, daß Medjugorje in großer Zahl christliche Laien anzieht, nicht aber auch die Hierarchie. Deshalb stellen die Medien auch immer wieder die Frage nach der Anerkennung seitens der offiziellen Kirche. An dieser Stelle muß herausgehoben werden, daß diese Frage am häufigsten diejenigen stellen, die weder etwas über das Wesen solcher Erscheinungen wissen, noch darüber, wie sich die Kirche ihnen gegenüber zu verhalten hat. Das ist der derzeitige kirchliche Kontext, in dem die Ereignisse von Medjugorje stattfinden.

Um die Bedeutung und die Tragweite dieser Ereignisse verstehen zu können, ist es ebenfalls von großer Bedeutung, den zeitlichen Kontext, in dem sie stattfinden, zu betrachten. Als die Erscheinungen begannen, ließ sich das Ende der nahezu ein Jahrhundert dauernden Diktatur des gottlosen Kommunismus erahnen, wozu es kurz danach auch kam. Dies war eine der größten geistigen Herausforderungen an die moderne Menschheit, nicht nur wegen des Zusammenbruches der Illusion von einer glücklichen, klassenlosen Gesellschaft und einer Gleichheit aller, sondern vor allem wegen der geistlichen Situation von hundert Millionen Menschen, die Generationen hindurch ohne Gott und die wahren geistigen Werten erzogen worden waren. Auf der anderen Seite wurde in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein großer Teil der Menschen, die sich außerhalb der Reichweite des Kommunismus befanden, von einer bisher nicht gekannten Welle des Hedonismus ergriffen, der mit seinem Mißbrauch von Drogen und Sexualität schädliche Früchte für die gesamte Menschheit mit sich brachte, so daß sich diese bereits in ihrer Existenz bedroht sah. Dies ist der zeitliche Kontext, in dem die Ereignisse von Medjugorje stattfinden. Es sind Zeichen, die auf etwas hindeuten. Dabei hatte schon Jesus seine Zeitgenossen darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen (vergl. Mt 16,3). Das tut im Prinzip auch die Kirche: in unserer Zeit von höchster Stelle aus im Zweiten Vatikanum (Gaudium et spes, Nr. 4). Aber es scheint, daß es in der Kirche nicht genug Menschen gibt, die diese Ermahnungen wirklich ernst nehmen. Andererseits erkannten Menschen mit scharfsinnigem Geist in Medjugorje die Antwort Gottes auf die Bedürfnisse und Bedrängnisse unserer Zeit. Dies gilt für zahlreiche Theologen, Priester und Bischöfe, die sich, als sie Gottes Werk hier erkannten, nicht fürchteten, dies auch öffentlich zu bezeugen, einige von ihnen sogar mit grundlegenden Studien und Büchern.

Medjugorje können wir folglich nicht isoliert wie eine Insel betrachten, auf die wir uns hinflüchten, weil wir es in der Welt nicht mehr aushalten, um dort dann einen Ersatz für die Kirche zu finden, die sich in der heutigen Welt am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr zurechtfindet. Ganz im Gegenteil: Medjugorje ereignet sich inmitten unserer Welt, die Gott braucht, um überhaupt eine Zukunft gewährleisten zu können. Medjugorje ereignet sich in der Kirche, um sie aus ihrer Verwirrtheit herauszureißen, in die sie die riesigen Herausforderungen gebrachten haben und um in ihr den Geist ihrer Anfänge wiederzubeleben. Der tiefere Sinn der Ereignisse von Medjugorje scheint es nicht zu sein, noch eine weitere geistige Bewegung in der Kirche entstehen zu lassen, sondern die Kirche als solche anzuregen und sie ihre Berufung in der heutigen Welt erkennen zu lassen; sie soll versteht, wie groß ihre Verantwortung für die Zukunft der Welt ist, die aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt wurde. Natürlich wird dies nur derjenige erkennen, der begreift, daß auch aus dem bedeutungslosen Nazareth etwas Gutes kommen kann (vergl. Joh 1,46) und daß Gott immer durch die Kleinen und Bedeutungslosen wirkt.

2. Geistige Bewegungen in der Kirche und in Medjugorje

Die Kirche Jesu war sich von Beginn an bewußt, daß sie ihre Existenz dem Wirken des Heiligen Geistes verdankt, den er verheißen hatte und zu seiner Zeit auch sandte (vergl. Lk 24,49; Apg 1,4; 2,1; Joh 14,16, 26; 16,7-14). Dies gilt nicht nur für die Urgemeinde in Jerusalem, der Jesus dies verheißen hatte, sondern auch für alle anderen. So erinnert Paulus die Galater daran, "im Geist angefangen zu haben" (Gal 3,3) und ruft die Thessalonicher auf, "den Geist nicht auszulöschen" (1 Thess 5,19). Als er die Christen in Rom aufruft, "sich dieser Welt nicht gleichzustellen, sondern sich zu ändern durch Erneuerung des Sinnes, damit sie prüfen können, was Gottes Wille ist" (Rom 12,2), setzt Paulus erneut den Heiligen Geist als Erneuerungskraft voraus, die durch die Taufe schon in den Christen vorhanden ist (vgl. Rom 8,9). Dies ist, zuwahr, nicht die definitive, vollendete Erlösung, dies sind nur die ersten Früchte des Geistes, die dem Christen aber ausreichen, gemeinsam mit der gesamten Schöpfung die Geburtswehen auszustehen, die noch bevorstehen (8,23-27).

Darauf baute die Kirche jahrhundertelang ihr Bewußtsein über sich selbst als eine "Kirche, die sich immerzu erneuern muß" ("Ecclesia semper reformanda") auf. Der Geist Gottes fand in verschiedenen Zeiten immer neue Methoden, um diese innere Glut und das innere Leben in immer neuen Formen zum Ausdruck zu bringen. "Das Wort zur Kirche, die sich ständig im Laufe der Jahrhunderte erneuern muß, kennzeichnete bedeutend die Geschichte der Kirche. Immer aufs neue meldeten sich innere Bewegungen, die versuchten, grundlegend nach dem Evangelium zu leben, wie z. B. die von Benedikt von Nursia, Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi und Ignatius von Loyola gegründeten Ordensgemeinschaften."(1) Man muß zugeben, daß alle erwähnten Orden, aber auch zahlreiche andere, zu ihrer Zeit eine tiefe Erneuerung der Kirche bedeuteten. Ihr Charisma leuchtete jahrhundertelang und prägte das allgemeine geistige Leben der Kirche und der Welt. Aus diesem Grund war auch der Begriff "Nachfolge Christi" in der geistigen Lehre und Theologie beschränkt auf den Ordensstand, was sicherlich nicht im Geiste des Neuen Testamentes ist. Denn das Neue Testament kennt keine zweifältige Moral, die bedeuten würde: für die einen nur den Weg der Gebote, für die anderen die sehr hohen Anforderungen der Nachfolge. Es existiert nur ein Weg und zwar der des gemeinsamen Ideals des christlichen Lebens und das ist die Nachfolge Jesu Christi. Er betrifft die gesamte Kirche und zwar überall und zu jeder Zeit. Etwas anderes aber ist die Tatsache, daß man dieses Ideal auf verschiedene Weise verwirklichen kann.

Das Zweite Vatikanische Konzil war darum bemühmt, dies zu berichtigen, indem es die Dignität, Wichtigkeit und Sendung des christlichen Laien in der heutigen Welt betonte. In der Dogmatischen Konstitution über die Kirche lesen wir: "Deshalb sind die Laien Christus geweiht und mit dem Heiligen Geist gesalbt und dadurch wunderbar dazu berufen und ausgerüstet, daß immer reichere Früchte des Geistes in ihnen hervorgebracht werden." (LG, Nr. 34). Damit bestätigte das Konzil genau das, was sich damals in der Kirche schon ereignete und gab gleichzeitig weitere Anregungen zu neuen Bewegungen. Neben schon existierenden Laienbewegungen, wie z. B. Fokolarini, Cursillo, Opus Dei, Comunione e Liberazione, Marriage Encounter, erschienen nach dem Konzil weitere verschiedene Formen der Erneuerung im Geiste, ob es sich nun um die Erneuerung des Einzelnen handelt, verschiedener Stände durch die Erneuerung und Belebung der Gnade des betreffenden Sakramentes oder sogar um die Erneuerung der Pfarrgemeinden. All diesen Bewegungen gemeinsam ist das Anliegen, eine für unsere Zeit geeignete Form der Geistigkeit zu entwickeln, "Geistigkeit als Anregung zur Erneuerung der menschlichen Meinung und des Willens aus dem Geiste des Evangeliums, verbunden mit dem Streben nach der Erfahrung des Glaubens in Gemeinsamkeit, was neue Wege zum Gebet, zum Worte Gottes und zu den Sakramenten öffnet."(2)

Wir können sagen, daß damit die Koordinaten gegeben sind, in die wir Medjugorje ohne Schwierigkeiten als besonderes geistiges Phänomen unserer Zeit einordnen können. In Medjugorje entwickelt sich seit Beginn an eine ausgesprochene Spiritualität von Laien, denn die Seher sind Laien und ihre Botschaften finden zum größten Teil Anklang bei christlichen Laien, die dazu angeregt werden, sich noch mehr aus dem Geiste des Evangeliums zu erneuern und sich dem Gebet, dem Worte Gottes und den Sakramenten zu öffnen. Von Anfang an stehen im Mittelpunkt der Medjugorjebewegung die Eucharistie, die Verkündigung des Gotteswortes, das Sakrament der Buße und das Gebet, aber all dies wird auf eine völlig neue und kraftvolle Art erlebt. In diesem Sinne läßt sich Medjugorje nicht in irgendeine bekannte geistige Bewegung einordnen, doch es ist eine Bewegung, die in großem Maße zur Erneuerung in der ganzen Welt beiträgt. Im Grunde genommen ist die Spirituälität von Medjugorje nicht irgendeine geistige Bewegung in der Kirche, sondern die Kirche in Bewegung, da sie gleich anziehend und herausfordernd ist für alle, für den einfachen Gläubigen, als auch für hochgelehrte Theologen, für Priester, Bischöfe und Kardinäle. Wenn man die erwähnten wichtigen Elemente der Spirituälität von Medjugorje miteinander verbindet, dann scheint es, als könne man sie am besten beschreiben und definieren mit dem, was man heute unter dem so oft gebrauchten Begriff "Neu-Evangelisierung" versteht.

3. Neu-Evangelisierung und Medjugorje

Die ersten christlichen Gemeinschaften hatten ein starkes Bewußtsein ihrer missionarischen Sendung. Gegen Ende des ältesten Evangeliums, des Markusevangeliums, steht das Wort des Auferstandenen an seine Jünger: "Geht hin in die ganze Welt und predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung!" (Mk 16,15). Nachdem er sehr kurz über Jesus Himmelfahrt berichtete, konstatiert der Evangelist: "Jene aber gingen aus und predigten überall, während der Herr mitwirkte und das Wort durch die darauf folgenden Zeichen bestätigte" (16,20). Dies ist sicherlich nicht nur die Bestätigung dafür, daß die Jünger Jesu Auftrag folgten, sondern vielmehr eine immer neue Anregung an die Leser des Evangeliums, dies auch konstant zu tun. Auch Matthäus ist es nicht entgangen, sein Evangelium mit diesem Auftrag zu beenden, obwohl er ihn im Geiste der theologischen Konzeption seines Werkes gewissermaßen modifizierte: "Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern!" Das dies eine unbegrenzte Sendung für alle Zeit ist, vor der sich die Jünger allerdings nicht zu fürchten brauchen, ergeht auch aus der zusätzlichen Erklärung: "Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters" (Mt 28,19). Lukas deutet diese Predigt im Lichte seiner geschichtsheilenden Vision als Erfüllung der Schrift, die geschehen muß und zwar mit Jerusalem beginnend. Und da nach seiner Theologie der Heilige Geist der Hauptträger aller Ereignisse ist, müssen die Jünger in Jerusalem bleiben bis er kommt, und dann zu seinen Zeugen werden (vergl. Lk 24,45-49). Die Apostelgeschichte beginnt mit der Erinnerung an diese Verheißung (Apg 1,4) und mit der Predigt über seine Erfüllung am Pfingsttag, als die Frohe Botschaft nicht nur in Jerusalem, sondern auch inmitten der Vertreter von etwa fünfzehn Völkern erscholl, die sich gerade in Jerusalem aufhielten (Apg 2,1-13).

Sein großes Werk, das wir als Geschichte der ersten Kirche bezeichnen können, beendet Lukas mit der siegreichen Behauptung vom Triumph des Evangeliums in Rom, trotz der Gefangenschaft des Paulus: "Paulus aber blieb zwei volle Jahre in seiner eigenen Wohnung, ..., predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus Christus mit aller Freimut ungehindert" (Apg 28,30). Dieses Ende blieb bewußt auf diese Weise offen, so daß es eine bleibende Perspektive des Evangeliums darstellen kann. Aber es muß noch hinzugefügt werden, daß diese schnelle und erfolgreiche Verbreitung des Evangeliums im riesigen Römischen Reich und in seinem Mittelpunkt Rom keinesfalls ohne Widerstand und große Schwierigkeiten vonstatten ging. Die Judeochristen freundeten sich nur sehr schwer mit der Evangelisierung Samariens an (vergl. Apg 8; Joh 4) und mit Paulus` Hartnäckigkeit, den Heiden das Evangelium ohne Gesetzauferlegung zu verkünden (vergl. Gal 1-2). Es schien, als würde unter diesen Umständen das Wirken des verheißenen Heiligen Geistes nicht ausreichen, so daß sich Gott zusätzlich noch außerordentlicher Eingriffe wie dem Erscheinen des Petrus im Hause des Kornelius (Apg 10) bediente, aber auch rein menschlicher Bemühungen wie der Auseinandersetzung des Paulus mit Petrus in Antiochia, in der es um die überaus wichtige Frage von dem Verhältnis des Evangeliums zum Gesetz des Mose ging, was für die Kirche von weitreichender Bedeutung war (Gal 2,11-14), oder sogar mit der Versammlung und Schlußfolgerung des Apostolischen Rates in Jerusalem (Apg 15).

In der langen Geschichte der Kirche handelte Gott immer auf ähnliche Weise. Wann immer die Kirche kraftlos wurde oder sich konfrontiert sah mit schwer lösbaren Problemen, sandte Gott besondere Menschen oder bediente sich ungewöhnlicher Eingriffe, am häufigsten waren es Erscheinungen der Gottesmutter, zu denen auch die Erscheinungen von Medjugorje zählen. Die Absicht Papst Johannes XXIII. mit der Einberufung des II. Vatikanischen Konzils war es, eine adäquate Methode zu finden, dem modernen Menschen das Evangelium zu verkünden. Die Konzilsväter analysierten bis in kleinste Details den Zustand der modernen Welt, ihre Bedürfnisse und Hoffnungen, aber auch ihre Bedrängnisse und Ängste vor der Zukunft und betonten, daß der riesige Fortschritt auf allen Gebieten die wichtigsten Fragen des Menschen im Hinblick auf sein wirkliches Glück und seine Zukunft nicht klären, so daß unsere Zeit vergleichbar gute und schlechte Aussichten habe. Das Konzil sieht die Hauptursachen dafür in der Zerteiltheit des menschlichen Herzens und in seinem unlöschbaren Bedürfnis nach Gott, das die Kirche zufriedenstellen möchte (vergl. GS, Nr. 4-10). Man kann nicht sagen, die Kirche hätte die Beschlüsse des Konzils nicht mit großer Strebsamkeit in der ganzen Welt durchzuführen versucht, aber dennoch blieben die wahren Früchten aus. Und während die einen meinen, daß man die Geduld nicht verlieren solle und darauf hinweisen, daß auch andere Konzile viel Zeit gebraucht hätten, bis sich ihre Früchte zeigten, gibt es auf der anderen Seite kritische Geister, die mit dem Finger auf die wunden Punkte hindeuten und betonen, daß die Kirche in ihrer mächtigen Konzilserneuerung nicht mit dem Heiligen Geist gerechnet hätte und ihm keine ausreichende Gelegenheit dazu gab, die Kirche aus dem Gebet zu erneuern und dadurch der Welt neue Hoffnung zu geben, wie das am Beginn durch die Gemeinschaft der Jünger Jesu im Gebet mit Maria geschah. Dies faßte am besten Papst Paul VI. in einer seiner Ansprachen zusammen: "Nach der Christologie und besonders nach der Ecclesiologie des Konzils muß es zu einem neuen Stadium und einem neuen Kult des Heiligen Geistes kommen als unumgängliche Ergänzung zur Lehre des Konzils" (Generalaudienz am 06.07.1973). Yves Congar, einer der prominentesten Theologen dieses Jahrhunderts, wirft dem Konzil vor, daß es, als es seine Lehre entwickelte, die Pneumatologie vergaß, d. h. die Lehre vom Heiligen Geist und fügte dem sofort hinzu, daß dies nur dann und dort möglich sei, wo der Geist schon wirkt: "Die Pneumatologie als Theologie und Dimension der Ecclesiologie kann sich nur vollkommen entwickeln dank der Tatsache, daß die Kirche schon verwirklicht ist und lebt. Und gerade auf diesem Gebiet hängt die Theologie sehr von der Praxis ab."(3) So war es seit dem Beginn der Kirche. Die Liturgie mit der Eucharistiefeier und der Verkündung des Wortes Gottes war ein „locus theologicus", ein Ort, an dem die neutestamentliche Theologie geschaffen wurde. Ich erlaube mir zu sagen, daß Medjugorje der zeitgenössischen pastoralen Theologie bisher schon viele Anregungen gab, um den fruchtlosen Rationalismus zu überwinden und dem Wirken des Heiligen Geistes mehr Raum zu schenken.

Die bereits seit fünfzehn Jahren in zahlreichen päpstlichen Dokumenten angekündigte und vorbereitete Neu-Evangelisierung wird in Medjugorje die ganze Zeit über verwirklicht. Dort wird das Evangelium mit der ganzen Ernsthaftigkeit, die von den Verkündern gefordert wird, weitergegeben und verkündet und gerade deshalb von Millionen Hörern als Frohe Botschaft von Gott, der liebt und vergibt, erlebt; in ihm wurde der vergrabene Schatz entdeckt und die kostbare Perle gefunden, für die es sich lohnt, alles andere zu opfern (vergl. Mt 13,44-46). Wenn man sich die Hauptpunkte anschaut, die im Programm der Neu-Evangelisierung herausgehoben werden, dann stimmen sie in großem Maße mit den Botschaften von Medjugorje überein. Wir werden nur die wichtigsten vergleichen.

Das Apostolische Schreiben Papst Paul VI. Evangelii Nuntiandi (vom 8. Dezember 1975) hebt als wichtigsten und ausschlaggebendsten Weg der Neu-Evangelisierung das Zeugnis vom wahren christlichen Leben hervor, das einen neuen Menschen voraussetzt, der nur möglich ist durch Bekehrung und innere Verwandlung im Geiste des Evangeliums. In diese Richtung geht auch das Apostolische Schreiben Papst Johannes Paul II. Catechesi Tradendae (vom 16. Oktober 1979) wie auch die Sonderversammlung der Bischofssynode 1985. Dasselbe drückt auch das Schlußdokument der Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (1991) mit dem bezeichnenden Titel: "Damit wir Zeugen Christi sind, der uns befreit hat" aus. Heute genügt es nicht mehr, nur das Evangelium zu predigen, es werden authentische Zeugen gesucht, denn die Kirche verlor in großem Maße ihre Kredibilität beim zeitgenössischen Menschen. Einer der Bischöfe, dem die Zukunft des Christentums im eigenen Land und das Schicksal der Neu-Evangelisierung am Herzen liegt, warnt: "Was die Kirche zu sagen hat, kann zwar richtig sein, aber doch macht es den Menschen nicht froh und frei."(4) Mit anderen Worten, das Evangelium hat seine Überzeugungskraft verloren, weil die Verkünder nicht ausreichend froh und frei sind, sie sind keine Zeugen. Das erwähnte Apostolische Schreiben besagt, daß sich dieses Zeugnis des christlichen Lebens mit "der Übergabe an Gott in Gemeinschaft, die nichts zerstören darf, und gleichzeitig mit der Übergabe an den Nächsten in unbegrenzter Bereitschaft zum Einsetzen" auszeichnen soll (Evangelii Nuntiandi, Nr. 41). Das ist nichts anderes als eine Erinnerung an die Verwirklichung des zweifachen Gebotes Christi von der Liebe in den Bedingungen der zeitgenössischen Welt, was in Medjugorje augenscheinlich am Werke ist. Die Spiritualität von Medjugorjes hat von Beginn an einen betont karitativen Zug, der die Menschen empfindlich macht auf die Bedürfnisse ihrer Brüder, was sich in zahlreichen wunderbaren Beispielen selbstloser Großzügigkeit in der Zeit des kürzlich vergangenen Krieges in Kroatien und in Bosnien und Herzegowina zeigte.

4. Gott wieder in das menschliche Leben aufnehmen

Alle bisher erwähnten kirchlichen Dokumente sind sich zutiefst der wirklichen Lage der Welt, besonders aber der Lage Europas bewußt. Mit dem Zusammenbruch der marxistischen gottlosen Ideologie verschwand aber nicht der praktische Materialismus, der die Lebensweise vieler unserer Zeitgenossen kennzeichnet. Die ehemals bissige Diskussion zum Thema, ob es Gott gibt oder nicht, wich nun einer gleichgültigen Art des Lebens, in der die Menschen denken und handeln, "als ob es Gott nicht gäbe". Trotzdem scheint es, als wandten sich die Menschen nicht gegen den wirklichen Gott, sondern gegen denjenigen, den ihnen die Kirche auf unglaubwürdige Art und Weise verkündet. Obwohl diese Welt vom praktischen Materialismus überflutet wurde, lebt doch in vielen Menschen die stille Sehnsucht nach Gott, was aus der Tatsache hervorgeht, daß die Zahl verschiedener Sekten und esoterischen Gruppen zunimmt. Das Evangelium hat, trotz allem, immer eine Chance, falls es die wirkliche Antwort auf die Sehnsucht des menschlichen Herzens ist, das heißt, falls es den Menschen als befreiende Frohe Botschaft verkündet wird, was wiederum nur Menschen des Evangeliums tun können.

Der bereits erwähnte Bischof beklagt sich, daß die Verkündigung zahlreicher Priester ohne Erfolg bleibt, weil in unseren Herzen nicht mehr der lebendige Gott innewohnt, so daß auch unser Wort keine Sehnsucht nach Gott verrät. Sich für die Schärfe seiner Worte entschuldigend, fragt er sich: "Ist dies nicht so, weil viele von der Kirche leben, nicht aber wirklich in ihr, in ihrem echten Geheimnis?"(5) Und wahrhaft, heute werden nicht nur einzelne Wahrheiten und bestimmte Bereiche des konkreten kirchlichen Lebens in Frage gestellt, sondern Gott selbst und zwar durch diejenigen, die den anderen den Weg zu ihm zeigen sollten. Und gerade aus diesem Grund konstatiert die erwähnte Sonderversammlung der Synode für Europa ohne Umschweife: "In der Tat befindet sich ganz Europa heute vor der Herausforderung, eine neue Entscheidung für Gott zu treffen."(6)

Wenn man unter diesem Gesichtspunkt die Botschaften von Medjugorje betrachtet, dann fällt es nicht schwer, eine große Übereinstimmung zu entdecken. Trotz der Tatsache, daß zu Beginn konkrete Friedensbotschaften, Bekehrungen, Gebete, Fasten... im Vordergrund standen, kam mit der Zeit immer mehr Gott und das Verhältnis zu ihm in den Mittelpunkt dieser Botschaften, und zwar in den verschiedensten Varianten: dies sind wiederholte Aufrufe an den Menschen, sich für Gott zu entschließen, der sich ihm anbietet; ihm die erste Stelle im Leben zu geben, da sie ihm zukommt; aber ebenso, ihm alles zu übergeben, vor allem aber die Lasten des Lebens; der Mensch ist dazu aufgerufen, Gott für seine Gaben zu danken und ihn in seinem Leben zu preisen; zahlreiche Botschaften weisen darauf hin, daß es nur im Gebet möglich ist, Gott kennenzulernen, und zwar im Gebet, das aus dem Herzen kommt. Es gibt mehrere Botschaften, die auf diese Weise von der Offenbarung Gottes an den Menschen sprechen, die man in dem Sinne verstehen soll, daß die Offenbarung Gottes an die Menschen eigentlich das Hauptziel dieser Geschehnisse darstellt: "Liebe Kinder! Heute lade ich euch zum Weg der Heiligkeit ein. Betet, damit ihr die Schönheit und die Größe dieses Weges erfaßt, auf dem Gott sich euch auf besondere Weise offenbart" (25.01.1989), oder später: "...Deshalb, meine lieben Kinder, öffnet euch mir ganz, damit ich euch mehr zu dieser wunderbaren Liebe Gottes, des Schöpfers, führen kann, der sich euch von Tag zu Tag offenbart. Ich bin mit euch und möchte euch Gott, der euch liebt, offenbaren und zeigen" (25.08.1992). Man könnte folglich sagen, daß Medjugorje viel mehr ist, als ein Ort des Gebetes und der Bekehrung, es ist vor allem ein Ort, an dem Gott ein Zeichen geben will, daß die menschliche Sehnsucht nach ihm nicht wertlos und daß der Weg zu ihm auch heute möglich ist, denn er kommt dem Menschen entgegen.

5. Rolle der Ortskirche

Der bekannte deutsche Theologe und Bischof Karl Lehmann machte sich Gedanken darüber, wie die Neu-Evangelisierung konkret auszusehen hätte, um erfolgreich zu sein, und kommt zum Schluß: "In Zukunft werden wir Orte, Bewegungen und Gemeinschaften brauchen, in denen sich die Menschen mit entschiedenem Willen zum Leben versammeln, gemeinsam lernen und sich gegenseitig helfen. Diese Stärkung des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe braucht die Menschheit immer mehr, vor allem jetzt, wo sich das Christentum in einer diasporischen Situation befindet. Nur so kann der Glaube wieder offensichtlich werden und ein klares Profil bekommen."(7) Medjugorje ist nahezu seit zwei Jahrzehnten ein Ort, an dem die Menschen aus aller Welt zusammenkommen, um gemeinsam zu beten, ihren Glauben zu vertiefen und eine Gemeinschaft in zahlreichen Gebetsgruppen, Bewegungen und neuen Formen gemeinsamen Lebens zu bilden. Dies alles wäre natürlich viel kraftvoller und überzeugender, wenn die Lage in der Ortskirche andere Formen hätte, wenn sie in ihrem Innern nicht aufgeteilt wäre. Diese Lage wirkt auf viele Menschen zumindest verwirrend, so daß sie auch bereit sind, Medjugorje in Frage zu stellen.

Möge es mir erlaubt sein, meine Meinung darüber zu äußern, die aus der Erfahrung dieser 17 Jahre Medjugorje, aus theologischen Reflexionen und aus dem Gebet hervorgeht. Oft drängte sich mir in dieser Zeit jenes Wort Jesu vom Schwert auf: "Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern das Schwert" (Mt 10,34). Der Weg zum wahren Frieden führt über die Entscheidung für Jesus. Diese Entscheidung duldet keine Kompromisse. Er ist selbst wichtiger als der Nächste, vor allem aber wichtiger als irgendwelche Interessen. Auf dem Weg zum wahren Frieden mit sich selbst, mit den anderen und mit Gott muß der Mensch zahlreiche Versuchungen bewältigen, die Jesus metaphorisch als Schwert bezeichnet. Trifft dieses Wort Jesu nicht auch auf Medjugorje und seine Stellung in der Ortskirche zu?

Tatsache ist, daß sich Medjugorje in einer Kirche ereignet, in der lange Zeit zuvor der sogenannte „Herzegowinische Fall" stattfand, der eine große Herausforderung für die Einheit und Liebe in dieser Kirche darstellte. Dieser Fall ist der Grund, weshalb die Einheit und Liebe nicht nur im Verhältnis zwischen dem Bischof und seinen Priestern und den Franziskanern auf der einen Seite, sondern auch innerhalb der Franziskanischen Gemeinschaft auf der anderen Seite leidet. Die Kirche in der Herzegowina war also schon vor Beginn der Erscheinungen auf mehreren Niveaus uneinig. Medjugorje war folglich nur eine neue Gelegenheit, um diese Uneinigkeit noch offensichtlicher zu machen. Einige Franziskaner kamen nie nach Medjugorje, nicht deshalb, weil sie aufgrund ernsthafter Betrachtungen und Studien zur Überzeugung gekommen wären, daß es hier nichts Übernatürliches gibt, sondern nur deshalb, weil dort einige ihrer Mitbrüder waren, mit denen sie sich in einigen Punkten nicht verstanden, besonders aber was den „Herzegowinischen Fall" betrifft. Als sich Bischof Zanic gegen Medjugorje wandte, drängten sie sich ihm als Gleichgesinnte auf, aber nur in Sachen Verurteilung und Ablehnung Medjugorjes. Allerdings taten sie nichts zur Aufklärung des „Herzegowinischen Falles". Im Gegenteil, in Capljina erlebt dieser gerade den Höhepunkt seiner Absurdität.

Ist dies vielleicht gleichzeitig das Zeichen dafür, daß es in der Kirche der Herzegowina wirklich Schwerte gab und daß nun die Zeit gekommen ist für den Frieden? Die Franziskaner, die sich gegen den Willen ihrer Vorsteher in Capljina aufhalten, berufen sich gemeinsam mit ihren Unterstützern hauptsächlich auf die Gründe der Gerechtigkeit: mit Hilfe der Gerechtigkeit begeht der Bischof Ungerechtigkeit! So lautet ihr Hauptargument. Aber es scheint nicht durchzukommen, während die Einheit und Liebe in der Kirche immer größeren Versuchungen ausgesetzt werden. Es stellt sich nun auch die Frage nach dem Wesen der Kirche als solche. Was ist zu tun? Dem Menschen, der das Evangelium bis zuletzt ernstnimmt, auch dann, wenn es scheint, als ob alle Möglichkeiten erschöpft sind, bleibt noch immer eine Möglichkeit, wohlwahr die schwerste, aber diejenige, auf der das Christentum beruht, und das ist das Aufopfern bis zur Selbstübergabe. Ein Opfer fällt immer schwer, vor allem, wenn es würdelos erscheint. So schien auch das Opfer Jesu, aber es erntete den größten Erfolg, die Auferstehung. Ein großer Teil der Franziskaner, die während all dieser Jahre treu zu Medjugorje standen, ist zu diesem Opfer bereit, so daß es auch die Provinzverwaltung akzeptierte. Dennoch bedarf es wegen der bereits komplizierten Beschaffenheit der Umstände einer großen Weisheit von seiten aller Verantwortlichen in der Kirche, damit alles zur Einheit und Liebe in der Kirche der Herzegowina gelangen kann, was dann auch ein kraftvolles Zeugnis für Medjugorje und ein Beitrag zur so notwendigen Neu-Evangelisierunmg der Welt sein wird.

1. M. TIGGES, Geistliche Gemeinschaften und Bewegungen, in: Praktisches Lexikon der Spiritualität, Herder, Freiburg-Basel-Wien, 1992, S. 473

2. Ders., S. 474

3. Y. CONGAR, Der heilige Geist, Herder, Freiburg-Basel-Wien, 1982, S. 153

4.Joachim Wanke, Neue Herausforderungen - Bleibende Aufgaben, Pastorale Akzente in postsozialistischer Zeit, Hildesheim, 1995, S. 13

5.Ders., S. 17

6. Bischofssynode, Sonderversammlung für Europa: Damit wir Zeugen Christi sind, der uns befreit hat, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 103, Bonn, 1991, S. 12

7. Karl Lehmann, Was heißt hier Neu-Evangelisierung Europas?, in: Internationale katholische Zeitschrift 4/92, S. 317

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